NOTIERT IN MÜNCHEN

Wirtshaus-Wiesn und Ozapft-is-Beachflags

München hat es überstanden. Noch immer tanzen die Schäffler unermüdlich im Rathausturm auf dem Marienplatz. Noch immer plätschert der Eisbach munter durch den Englischen Garten. Und noch immer gewinnt der FC Bayern erbarmungslos sämtliche Pokale und...

Wirtshaus-Wiesn und Ozapft-is-Beachflags

München hat es überstanden. Noch immer tanzen die Schäffler unermüdlich im Rathausturm auf dem Marienplatz. Noch immer plätschert der Eisbach munter durch den Englischen Garten. Und noch immer gewinnt der FC Bayern erbarmungslos sämtliche Pokale und Schalen, die es im deutschen und europäischen Fußball halt so gibt. Ja, München und die ganze Welt haben es überstanden, dass das vermaledeite Virus heuer auch das Oktoberfest verhindert, überwältigt, besiegt hat. Die Statistiker notieren die erste Absage seit 1948 und die 25. seit der Premiere 1810.Am vergangenen Sonntag wäre die diesjährige Wiesn nach gut zwei Wochen zu Ende gegangen, und wir wüssten jetzt, wie viele Millionen Besucher auf dem größten Volksfest der Welt dieses Mal wie viele Millionen Maß Bier getrunken und wie viele Hendl und Ochsen verspeist hätten – und wie viele Münchner, Italiener und Amerikaner, Franken und Preußen sich mit Maßkrügen die Köpfe blutig geschlagen hätten.Doch so ganz wollten sich die Münchner dem Virus nicht ergeben, auch wenn die Sieben-Tage-Inzidenz der Infektionsstatistik in der Stadt pünktlich zum virtuellen Start der Wiesn mit dem Sprung über die Zahl 50 als Unheilbote und Warnsignal daherkam. “A bisserl was geht immer”, schrieben findige Lebkuchenherzl-Produzenten auf das Backwerk. Auch “Wiesn dahoam” und “Koa Wiesn” wurden mit Zuckerdekor proklamiert, was lebhafte Assoziationen von FC-Bayern-Fans und anderen Fußballbegeisterten weckte.Das Alternativprogramm in 54 Gaststätten nannte sich Wirtshaus-Wiesn mit Fassanstich, Oktoberfestbier, typischen Schmankerln aus der Küche und Abstandsregeln. Bierseliges Schunkeln und Prosit-Gesänge mit Fremden, die nach der zweiten Maß schnell zu dicken Freunden werden, waren da nicht drin. Zumindest dort, wo die Regeln etwas galten. Singen und Tanzen waren verboten. Andernorts beendete die Polizei manche Party ganz plötzlich, wenn sie denn Wind davon bekam. Wer am ersten Wiesn-Samstag in Tracht einkaufen ging, erhielt einen Gutschein für eine Halbe (!) Bier. Freilich nur, wer im Laden mindestens 50 Euro ausgab, und einzulösen waren die Gutscheine nur in Wirtshäusern der Innenstadt.Zu erkennen gaben sich die Geschäfte, die sich an der Dirndl- und-Lederhosen-Aktion des Einzelhändlerverbands City Partner beteiligten, übrigens mit “Ozapft-is-Beachflags”. Ja mei, der Bayer goes international und auch sprachlich längst mit der Zeit. Der schon legendäre Laptop in Kombination mit der Lederhosen aus der Ära von Edmund Stoiber als Ministerpräsident war nur der Anfang. *Nostalgische bis wehmütige Wiesn-Freunde versammelten sich auf der Suche nach dem münchnerischsten aller Lebensgefühle zum Beginn doch tatsächlich auf der Theresienwiese, einige stellten an dem sonnigen Tag dort sogar Bierbänke und -tische auf. Obwohl unterhalb der Bavaria mit dem Bronzelöwen an ihrer Seite nur ödes Schotter- und Betongrau und Stille herrschte – dort, wo sonst die gewaltigen Festzelte und Schießbuden stehen, Riesenrad und Kettenkarussell sich drehen, laute Musik und ein Stimmengewirr den Besucher umfangen, ebenso ein bisweilen süßlich-angenehmes, bisweilen Lieber-nicht-darüber-reden-Gemisch von Gerüchen. Jetzt blickt die Patronin der Bayern nur auf ein Coronatest-Zelt. Die Unverzagten hatten nicht mitbekommen oder nicht wissen wollen, dass vorübergehend ein Alkoholverbot für die Theresienwiese erlassen wurde. Polizisten schickten alle fort.Zur Strafe für jeden Münchner, der die abgesagte Wiesn allenfalls mit einem Achselzucken hinnahm oder dem Ausfall des bierseligen Trubels sogar Sympathie entgegenbrachte, wenn auch nur ganz heimlich: Im nächsten Jahr könnte es zur Wende vom Sommer zum Herbst auf den Straßen, den Gaststätten, der S- und U-Bahn und der Tram länger richtig voll werden. Dann soll knapp zwei Wochen vor dem Anstich im Schottenhamel-Zelt erstmals die Internationale Automobil-Ausstellung in München beginnen – und sechs Tage dauern. Doch ob es so kommt, bestimmen letztlich das Coronavirus und die Impfstoffforscher.