"Wohlstand gerechter verteilen"
Die schwache Produktivität in den Industrieländern wächst sich langsam zum Problem aus, warnt die OECD. Denn dadurch stagnieren die Einkommen, steigt der Widerstand gegen Strukturreformen und wird Misstrauen geschürt gegen das etablierte Wirtschaftssystem und die Globalisierung.lz Frankfurt – Die Industrieländerorganisation OECD hat die Regierungen aufgefordert, die in jüngster Zeit eher lieblos verfolgten Reformen der Arbeits-, Produkt- und Finanzmärkte energischer umzusetzen. Damit soll das Wirtschaftswachstum gefördert und obendrein sichergestellt werden, dass alle Gruppierungen in den Volkswirtschaften am Wohlstand teilhaben können. Dies verlangt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in der diesjährigen Ausgabe ihrer Analyse “Going for Growth”. Die Studie listet die aus Sicht der OECD geeigneten politischen Mittel auf, um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Beschäftigung und wirtschaftliche Teilhabe zu fördern.”Die Regierungen können es sich nicht leisten, in ihren Reformanstrengungen nachzulassen, wenn sie die anhaltende Wachstumsschwäche, mit der sich viele von ihnen konfrontiert sehen, überwinden und zugleich sicherstellen wollen, dass die überwiegende Mehrheit ihrer Bürger vom Wirtschaftswachstum profitieren kann”, heißt es in dem Bericht, der am Freitag am Rande des G 20-Finanzministertreffens in Baden-Baden veröffentlicht wurde.”Viele Menschen spüren, dass ihr Lebensstandard seit langem stagniert. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es kohärente strukturelle Reformen sowie den politischen Willen, diese auch umzusetzen”, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría. “Maßnahmen zur Förderung von Beschäftigung und zum Abbau sozialer Ungleichheit zeigen bereits ihre Wirkung. Gleichzeitig bleiben in den Industrienationen wie in den Schwellenländern aber viele Herausforderungen bestehen, die nur mit Hilfe schnellerer und weitreichendere Reformen gelöst werden können. Die Regierungen dürfen jetzt nicht lockerlassen.” Regierungen unter DruckZum ersten Mal setzt der Bericht wirtschaftliche und soziale Teilhabe auf eine Dringlichkeitsstufe mit Produktivität und Beschäftigung, den wichtigsten Kräften hinter wachsenden Einkommen. “Inklusives Wachstum muss im Zentrum der Anstrengungen stehen. Dies ist die einzig richtige Antwort auf den politischen Gegenwind, der zu einer Verschleppung von Reformen geführt hat”, sagte Gurría.Die OECD sieht die Regierungen der großen Industrie- und Schwellenländer bei ihren Bemühungen um eine nachhaltigere und gerechtere Wachstumsentwicklung unter erheblichem politischem Druck. In großen Teilen der Bevölkerung stagnierten die Einkommen, und in vielen Ländern seien die Beschäftigungschancen weiter schlecht. Das habe die Akzeptanz von Reformen massiv beeinträchtigt. Die Vorteile einer wachstumsfreundlichen Reformpolitik sollen daher “möglichst breiten Teilen der Bevölkerung zugutekommen”. Nötig seien etwa bessere Chancen für innovative Unternehmen, mehr Gerechtigkeit beim Zugang zu guter Bildung und die Förderung der Integration von Frauen und Migranten.Das insgesamt positive Bild Deutschlands, wo die Einkommensungleichheit geringer als im OECD-Durchschnitt ist, wird getrübt durch eine strukturelle Schwäche im Dienstleistungssektor. Hier müssten Wettbewerbshindernisse abgebaut werden. Geringverdiener müssten steuerlich entlastet werden. Und der unterschiedliche Beschäftigungsschutz für befristete und unbefristete Jobs sollte angeglichen werden.In Bezug auf die USA zeigte Gurría Verständnis für Pläne für eine Unternehmenssteuerreform. Die steuerliche Belastung sei zu hoch, was das Wachstum behindere und keinen Anreiz für Investitionen darstelle. Die Empfehlungen der OECD zu Verbesserungen in der Infrastruktur würden jetzt angegangen. Tiefgreifende Reformen seien aber auch in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik der USA erforderlich. Kritik an SteuerplänenZuletzt hatten Pläne aus den USA für Aufsehen gesorgt, die Unternehmensbesteuerung dahingehend zu ändern, dass nicht nur die Steuersätze verringert, sondern Importe explizit höher belastet und Exporte im Gegenzug steuerfrei gestellt werden. Da dies einen Fremdkörper in der globalen Steuerstruktur darstellt und eine Wirkung wie neue Zollschranken hat, haben viele G 20-Regierungen diese Pläne heftig kritisiert und sehen sie als eine Form des Protektionismus.