Wohlstand muss klimagerecht sein
wf Berlin
Sehr verhalten hat die deutsche Industrie auf den Entwurf des Wahlprogramms der Grünen reagiert. Das Programm zeige „wenig Licht und viel Schatten“, sagte Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, in Berlin. „Die Grünen wollen eine andere Gesellschaft“, konstatierte Lang. „Den Umbau sollen Wirtschaft und Gesellschaft teuer bezahlen.“ Positiv wertet er die Forderung nach einem Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen, lehnt aber die dafür anvisierten Steuererhöhungen ab.
Eine Investitionsoffensive von zusätzlich 50 Mrd. Euro im Jahr haben sich die Grünen bei einer Regierungsbeteiligung vorgenommen. Dies wäre eine Verdopplung im Bundesetat. Deutschland liege mit einer Investitionsquote von 2,45% des Bruttoinlandsprodukts unter dem europäischen Durchschnitt von 3% und weit entfernt von der Spitze mit 6%, sagte der Co-Parteivorsitzende Robert Habeck vor der Presse. Die Grünen setzen auf „klimagerechten Wohlstand“, machte Co-Parteichefin Annalena Baerbock deutlich. Schlüssel für die von den Grünen bis 2050 angestrebte Klimaneutralität sei eine „sozial-ökologische Marktwirtschaft, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt“, sagte Baerbock.
Raus aus dem „Steuersumpf“
Finanzieren wollen die Grünen die neuen Staatsausgaben durch die Lockerung der Schuldenbremse für investive Ausgaben und Steuererhöhungen. Hohe Einkommen und Vermögen sollen mehr zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen, verlangen sie. Dazu sollen Vermögen oberhalb von 2 Mill. Euro pro Person mit jährlich 1% belastet werden. Begünstigt werden sollen Betriebsvermögen, so dass zusätzliche Anreize für Investitionen entstehen und die besondere Rolle von mittelständischen und Familienunternehmen berücksichtigt werde, heißt es im Programm. Der Steuersatz für Einkommen von 100000 Euro (Alleinstehende) an soll von derzeit 42% auf 45% steigen. Für Einkommen von 250000 Euro an solle ein neuer Spitzensteuersatz von 48% gelten. Unternehmen wollen die Grünen in Europa auf Basis einer gemeinsamen steuerlichen Bemessungsgrundlage mit einem Mindeststeuersatz von mittelfristig 25% belasten. „Durch Buchungstricks verschieben große Konzerne ihre Gewinne in Steuersümpfe“, heißt es im Programm. Konzerngewinne, Umsätze und Steuerzahlungen sollen nach Ländern veröffentlicht werden müssen.
„Große Banken entflechten“
„Wir machen den Finanzmarkt stabiler und nachhaltiger“, versprechen die Grünen. Öffentlich-rechtliche Banken und Pensionsfonds müssten eine Vorreiterrolle bei der grünen Finanzwende und dem Divestment einnehmen. Klimarisiken sollen bei Banken und Versicherern mit Eigenkapital unterlegt und bei Ratings berücksichtigt werden. Als Folge des Wirecard-Skandals wollen die Grünen alle sechs Jahre einen Wirtschaftsprüferwechsel erzwingen. Die aktuelle Gesetzesinitiative zur Stärkung der Finanzmarktintegrität zielt auf einen engeren Rotationszyklus von zehn Jahren. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften müssten zudem wirksam staatlich beaufsichtigt werden, verlangen die Grünen. Entscheider in Unternehmen müssten persönlich haften, Aufsichtsräte gestärkt und kompetent besetzt werden, und die Vergütung von Vorständen müsse am langfristigen Unternehmenserfolg statt am Börsenkurs orientiert sein. Bei der Finanzaufsicht bleiben die Grünen vage: Sie wollen eine „Finanzpolizei mit umfassenden Prüfungsrechten“ schaffen, die Informationen im In- und Ausland austauscht. Zurück zum „Boring Banking“, heißt es für die Kreditwirtschaft. Universalbanken sollen einem Trennbankensystem weichen, große Banken entflochten werden. „Banken sollen nicht spekulieren, sondern die Realwirtschaft finanzieren“, heißt es. Bei Schattenbanken, Zahlungsdienstleistern und Fintechs sehen die Grünen Regulierungslücken. Die Leverage Ratio für Banken wollen die Grünen verbindlich machen und schrittweise erhöhen, kündigt das Programm an.