"Wohlstandsschaffender Sektor"
Von Andreas Hippin, LondonFür Jürgen Maier, den britischen Landeschef von Siemens, ist es ein Heimspiel gewesen, als er auf einer Podiumsdiskussion in der ehemaligen Botschaft der DDR in London erklärte, warum die Produktivität in Großbritannien so viel niedriger liegt als in Deutschland. Veranstalter waren die deutsche Botschaft und German Industry UK. Die Moderation lag bei Sarah Gordon, einer leitenden Redakteurin der “Financial Times”, die Maier zuerst in den höchsten Tönen für seinen “Mut” lobt. Er habe sich negativ über den Brexit geäußert, als andere Wirtschaftsführer schwiegen.Die Produktivitätsunterschiede stellten kein großes Rätsel dar, sagte Maier. Die Ursachen seien vielmehr augenfällig. Es fehle in Großbritannien an Führungsstärke, langfristigem Denken und der Bereitschaft zum Einsatz neuer Technologien. Das habe er bei den Unternehmen festgestellt, die Siemens erworben habe. Zudem fehle es an einem dem dualen System der Berufsausbildung in Deutschland vergleichbaren Qualifikationssystem, das einen Aufstieg vom Auszubildenden zum Meister ermögliche. Auch sei die Größe des “wohlstandsschaffenden Sektors” – gemeint ist die Industrie – von großer Bedeutung. Ein Anteil von etwa 25 % an der Wirtschaftsleistung sei wünschenswert, um die 10 % wie in Großbritannien nicht ausreichend.Er habe sich immer gefragt, warum die erfolgreichsten britischen Unternehmen entweder von ausländischem Kapital kontrolliert oder mit ausländischen Managementpraktiken geführt werden, gab Richard Harrington, parlamentarischer Staatssekretär im britischen Wirtschaftsministerium, zu. “Ehrlich gesagt weiß ich die Antwort darauf nicht.” Am kurzfristigen Denken allein könne es nicht liegen, schließlich werde in den USA nahezu alles auf Quartalssicht entschieden.Vielleicht liegt es ja daran, dass die Tür für Firmenkäufer aus dem Ausland in Großbritannien sperrangelweit offen steht. Oder daran, dass man lieber ein paar Mindestlöhner zusätzlich einstellt, statt eine neue Maschine zu kaufen. Rebecca Riley von der Denkfabrik NIESR kam das Verdienst zu, auf die Probleme bei der Ermittlung der Produktivität zu verweisen. Und Colin Herron von Zero Carbon Futures wies auf die Vielschichtigkeit des Themas hin. Nissan habe die eigene Produktivität dadurch gesteigert, Komponenten aus Drittweltländern zu beschaffen. Die Produktivität des englischen Nordostens habe jedoch unter dem Verlust der Zulieferer gelitten.—–Das Rezept der Industrie zur Steigerung der Produktivität? Mehr Industrie.—–