Wortgefechte unter Notenbankern

Von Mark Schrörs, Frankfurt Börsen-Zeitung, 24.9.2016 Podiumsdiskussionen bei großen Konferenzen kranken oft daran, dass es kaum echte Debatten, geschweige denn richtige Kontroversen gibt. Das gilt bei Notenbankern vielleicht in noch stärkerem Maße...

Wortgefechte unter Notenbankern

Von Mark Schrörs, FrankfurtPodiumsdiskussionen bei großen Konferenzen kranken oft daran, dass es kaum echte Debatten, geschweige denn richtige Kontroversen gibt. Das gilt bei Notenbankern vielleicht in noch stärkerem Maße als bei anderen Diskutanten. Umso bemerkenswerter war die Diskussion, die sich EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio und Claudio Borio, Topökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), am Freitag bei einer Konferenz des Europäischen Systemrisikorats (European Systemic Risk Board, ESRB) lieferten. Ihre Wortgefechte sorgten nicht nur bei den Zuhörern, sondern auch bei den anderen Panelisten für einiges Amüsement – und für gebanntes Lauschen.Im Kern stritten Constâncio und Borio vor allem über die Frage, inwieweit die Zentralbanken mit ihrer beispiellos lockeren Geldpolitik verantwortlich sind für die historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen, etwa bei Staatsanleihen, oder ob diese primär durch realwirtschaftliche Entwicklungen jenseits des Einflussbereichs der Notenbanker getrieben sind. Dabei geht es nicht primär um ein Schwarzer-Peter-Spiel. Es geht vor allem um die Frage, was die Geldpolitik als Konsequenz aus der entsprechenden Antwort aktuell tun sollte: sich zurückhalten oder weiter nachlegen. Deshalb beschäftigt die Frage die Fachzirkel derzeit wie selten zuvor.Constâncio pochte erneut darauf, dass die Kapitalmarktzinsen vor allem in den entwickelten Volkswirtschaften seit Jahrzehnten im Sinkflug seien und dass dafür vor allem langfristige Entwicklungen wie etwa Demografie, eine nachlassende Produktivität oder eine “Ersparnisschwemme” verantwortlich seien – also ein Übergewicht an Ersparnis gegenüber Investitionsmöglichkeiten. Der natürliche Realzins, der mit einem potenzialgerechten Produktionswachstum und stabiler Inflation vereinbar ist, sei gesunken – im Fall der Eurozone gar unter 0 %. Die Zentralbanken versuchten mit ihrer Politik lediglich, darauf zu reagieren. Das entspricht auch der populären Theorie der “säkularen Stagnation”.Damit verteidigte Constâncio auch die aktuelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie vor ihm schon EZB-Präsident Mario Draghi betonte er, dass niedrige Zinsen heute nötig seien, um in Zukunft zu höheren Zinsen zu kommen – weil das nur über mehr Wachstum und höhere Inflation gelinge. Constâncio räumte ein, die EZB habe gehofft, dass sich die Euro-Wirtschaft schneller erhole. Die EZB-Politik wirke aber, und im Frühjahr sei damit zu rechnen, dass die Inflation zumindest wieder bei rund 1 % liege. Gleichwohl betonte Constâncio, dass auch die geldpolitischen Möglichkeiten der EZB begrenzt seien.BIZ-Ökonom Borio dagegen vertrat die Auffassung, dass die Geldpolitik sehr wohl eine große Rolle spiele für die langfristig niedrigen Zinsen. “Die Geldpolitik ist da nicht neutral”, sagte er. Die BIZ als Zentralbank der Zentralbanken argumentiert etwa seit langem, dass niedrige Zinsen noch niedrigere Zinsen erzeugen, weil sie den Aufbau finanzieller Ungleichgewichte begünstigten und Ressourcen in unproduktive Bereiche leiteten. Die BIZ sieht die lockere Geldpolitik deshalb selbst als einen Grund für die Wachstumsschwäche. Zudem ist sie überzeugt, dass die Schätzungen des Gleichgewichtszinses höher seien, wenn finanzielle Faktoren berücksichtigt würden. Mehr Schaden als NutzenDie BIZ mahnt die Notenbanken deshalb zur Vorsicht. BIZ-Chefvolkswirt Hyun Song Shin hatte unlängst im Interview der Börsen-Zeitung vor einer neuerlichen Lockerungsrunde gewarnt. Da die Folgen niedriger Inflation und milder Deflation nicht so desaströs seien wie vielfach angenommen, falle die Nutzen-Kosten-Bilanz der unkonventionellen Geldpolitik sehr viel schlechter aus als unterstellt. Womöglich, so warnte Shin, sei sogar der Punkt erreicht, an dem diese Geldpolitik mehr schade als nutze (vgl. BZ vom 2. September).Constâncio räumte seinerseits zwar ein, dass die Risiken der Niedrig- und Negativzinspolitik zunehmen würden, je länger diese anhalte. Derzeit seien aber keine Vermögenspreisblasen im Euroraum zu erkennen und wenn, dann sei die sogenannte makroprudenzielle Aufsicht “die erste Verteidigungslinie”. Borio sagte ebenfalls, dass es derzeit keine Signale für Exzesse im Euroraum gebe. Entscheidend sei aber “die globale Perspektive”: In vielen Ländern gebe es Warnsignale wie vor der Finanzkrise – und die Geldpolitik der wichtigsten Notenbanken beeinflusse eben auch die Lage dort.In einem Punkt aber gab es am Ende doch große Übereinstimmung: nämlich darin, dass die Geldpolitik allein überfordert sei und andere Politikbereiche viel stärker ihren Beitrag leisten müssten – mit fiskalischen Stimuli, vor allem aber mit Strukturreformen. Da herrschte dann auch zwischen Constâncio und Borio wieder viel Eintracht und Harmonie.——–EZB-Vize Constâncio und BIZ-Ökonom Borio diskutieren über Risiken der lockeren Geldpolitik.——-