WTO warnt vor Auswirkungen einer Deglobalisierung
Deglobalisierung bedroht Wohlstand
WTO warnt vor Fragmentierung der Wirtschaft – Welthandel trotz steigenden Protektionismus noch robust
mpi Frankfurt
Die Welthandelsorganisation WTO warnt Staaten davor, sich im Bemühen um mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit in Zeiten geopolitischer Krisen vom Welthandel abzukoppeln. „Die politischen Entscheidungsträger betrachten Interdependenzen inzwischen eher als Laster denn als Tugend“, heißt es im am Dienstag veröffentlichten Welthandelsreport der WTO – der Flaggschiff-Publikation der Organisation. Dabei spiele ein starker internationaler Handel eine Schlüsselrolle bei der „Bewältigung der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit: der Erreichung einer nachhaltigen Wirtschaft, der Wahrung des Friedens und der Sicherheit und der Verringerung von Armut und Ungleichheit“.
Zwar verursache der Welthandel C02-Emissionen und sei mitverantwortlich für den höheren Ausstoß der Industrienationen in den vergangenen Jahrzehnten, doch laut der WTO-Analyse ist ein starker internationaler Handel auch essenziell, damit das globale Problem des Klimawandels angegangen werden kann. Staaten mit einem hohen Anteil an „sauberen“ Energiequellen sollten sich auf die Produktion und den Export energieintensiver Güter und Dienstleistungen fokussieren. Der Handel mit digitaler Technologie, die den Wandel der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit fördert, kann die Transformation deutlich beschleunigen. Der Einsatz digitaler Lösungen würde den globalen CO2-Ausstoß um bis zu 15% reduzieren, rechnet die WTO vor.
Wichtig wäre laut der Organisation auch, dass die Staaten sich bei ihrer Klimapolitik koordinieren und einen globalen CO2-Preis einführen. Dies würde nicht nur den Welthandel nachhaltiger gestalten, sondern auch die Ungleichheit in der Welt reduzieren, da viele Entwicklungsländer vom grünen Wandel profitieren könnten, indem sie erneuerbare Energien und nachhaltige Agrargüter exportieren.
Weniger Ungleichheit
Auch insgesamt helfe die Globalisierung dabei, Ungleichheit und Armut in der Welt zu reduzieren. „Die Entwicklungs- und Schwellenländer haben erheblich vom handelsgetriebenen Wachstum profitiert, das zu einer Annäherung der Einkommen in Richtung der wohlhabenderen Staaten geführt hat“, schreibt die WTO in ihrem Bericht.
Doch auch für die Industriestaaten lohne sich eine Abkoppelung vom Welthandel nicht. So hätten etwa der Handelsstreit und die eingeführten protektionistischen Maßnahmen zwischen den USA und China für einige Wirtschaftszweige in den USA positive Effekte gehabt, indem neue Stellen geschaffen wurden, die es ansonsten nicht gegeben hätte. Studien zeigen laut WTO jedoch, dass diese bei weitem aufgewogen wurden durch größere Arbeitsplatzverluste in den Bereichen, die von den chinesischen Vergeltungszöllen besonders betroffen waren.
Weniger internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit ist für die WTO daher ein Schreckensszenario. „Die Alternative zur regelbasierten Integration ist machtbasierte Fragmentierung und eine Welt größerer Unsicherheit, zunehmender sozioökonomischer Ausgrenzung und zunehmender Umweltzerstörung“, sagte WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala.
Die WTO beobachtet dennoch einen wachsenden Protektionismus und in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auch einen Trend zur politischen und wirtschaftlichen Blockbildung. Mit über 160 Handelshürden gebe es 2023 mehr Handelshürden als in den meisten vergangenen Jahren. Langfristig ist ein klarer Trend zu mehr protektionistischen Maßnahmen erkennbar.
Gefahr der Blockbildung
Die WTO schätzt, dass die Kosten einer vollständigen Aufspaltung des Welthandels in einzelne Blöcke – etwa einen prorussischen und einen antirussischen – rund 5% des Realeinkommens auf globaler Ebene betragen würden, wobei einige Entwicklungsländer sogar Verluste im zweistelligen Bereich verkraften müssten. Die WTO gibt sich jedoch zuversichtlich, dass es zu einem solchen Szenario nicht kommt.
Trotz zunehmendem Protektionismus ist der Welthandel weiter robust. Seit 2018, als die Handelsauseinandersetzung zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt – USA und China – an Fahrt aufnahm, ist der der Welthandel im Schnitt um 3,0% pro Jahr gewachsen. Dies ist oberhalb des langjährigen Trends von 2,6%. In diesem Jahr wird es laut WTO-Prognose allerdings nur eine Zunahme von 1,7% geben. Für 2024 erwartet die Organisation ein Wachstum von 3,2%.