Wuhan wie es singt und lacht
Wuhan? Darf man da überhaupt hin? Und ob man darf. Man soll sogar – unbedingt. Es ist der brennende Wunsch der Stadtväter wie auch der Pekinger Zentralregierung, dass die Welt den Ausbruchsort der Corona-Pandemie in der zentralchinesischen Provinz Hubei neu und besser kennenlernt. Und es lohnt sich, diesem Wunsch nachzukommen. Nicht wegen Sensationsgelüsten oder gar Anflügen von Katastrophen-Tourismus – die Spuren der Corona-Pandemie kann man schließlich nicht am Stadtbild erkennen. Was man jedoch sehen und vor allem spüren kann, ist, wie ein Ort, den die Welt als Symbol der Verfluchung kennt, nun seine Wiederauferstehung feiert.Stolz und Dankbarkeit – das sind die beiden Schlüsselwörter, die Wuhans neue Befindlichkeiten charakterisieren. Alle sind herzlich eingeladen zu sehen, dass sich dem tückischen Virus die Stirn bieten lässt – mit dem Mut der Verzweiflung und vor allem mit Disziplin. Wuhan und seine gut acht Millionen Bewohner haben alles durchgemacht, was man durchmachen muss, um den Virus auszurotten. Nun will man den Blick wieder in die Zukunft richten. Der fällt durchaus zuversichtlich aus. Es ist der einzige Ort, in dem jeder, aber auch wirklich jeder Einwohner auf Covid-19 getestet worden ist. Und seit Mai soll es zumindest nach offiziellen Angaben keinen einzigen neuen Ansteckungsfall gegeben haben. *Trotz des Grauens und der Zehntausende von Toten will Wuhan nicht als ein traumatisiertes Kollektiv dastehen, sondern als ein energiegeladenes. Es gilt, vorwärts zu gehen und alles zu geben, damit sich die Tragik nicht wiederholen kann. Man ist stolz wegen des Zusammenhalts und des Durchhaltevermögens und dankbar für die tatkräftige Unterstützung und für den Einsatz von ganzen Geschwadern medizinischen Personals aus allen Teilen Chinas sowie der vielen Solidaritätsaktionen in sozialen Medien.Die Riesenstadt am mächtigen Yangtse-Fluss ist in jedem Fall alles andere als 08/15. Sie hat etwas Besonderes. Das liegt nicht nur an der Topografie, in der vor allem der Yangtse und der riesige Donghu, einer der schönsten Seen des Landes, hervorstechen, sondern vor allem auch am besonderen Charakter der Menschen in der Provinz Hubei. Sie sind für ihr Temperament bekannt, haben eine berüchtigt kurze Lunte, große Willensstärke, den Drang, sich zu amüsieren und bei jeder Gelegenheit ins Freie zu gehen, – trotz extremer Temperaturschwankungen mit brüllend heißen Sommermonaten und bitterkalten Wintertagen. Das ist vielleicht eine Erklärung für die sprichwörtliche Zähigkeit der Wuhaner. Der Virus hat sich einen starken Gegner ausgesucht. *Der sogenannte Guangchangwu hat jetzt wieder Hochkonjunktur. Das sind jene abendlichen Tanz- und Musikveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen, bei denen sich Senioren in einer Mischung aus Tanz, Aerobic und Marschbewegungen mit lautstarker Beschallung durch das chinesische Pendant zur Karnevalsmusik fit und bei Laune halten. Am See, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Campus der bekannten Wuhan-Universität befindet, sieht man Studentengruppen beim fröhlichen Nachmittagsbad. In den einschlägigen Fressgassen Wuhans geht es hoch her. Man sitzt im Freien, trinkt Bier und frönt dem Krustentiergenuss. Wuhaner sind fanatische Xiaolongxia-Esser, das sind jene in einem scharfen Sud geschmorten knallroten Flusskrebse, die in Hubei am besten gedeihen und von dort aus einen Siegeszug in ganz China angetreten haben.Auch morgens begibt man sich in der Regel ins Freie, um sich an einem der unzähligen Straßenstände Wuhans bekannteste lokale Spezialität Re Gan Mian (scharfe trockene Nudeln) einzuverleiben. Das sind mit einer speziellen Sesampaste angerichtete Spaghetti-ähnliche Nudeln – ein kolossaler Sattmacher, den ganz Wuhan mit religiösem Eifer praktisch jeden Tag zum Frühstück vertilgt. Wenn man die Menschen fragt, was sie bei der 76 Tage währenden totalen Ausgangssperre in der Stadt am meisten vermisst haben, sagen ausnahmslos alle: den allmorgendlichen Gang zum lokalen Nudelstand.