GRIECHENLAND

Wunderheilung

Patienten in der Reha neigen oft dazu, ihre wiedergewonnenen Kräfte zu überschätzen. Nicht wenige, die sich als kerngesund und wundergeheilt präsentieren, um endlich der Behandlung entfliehen zu können - und damit auch der ständigen Kontrolle und...

Wunderheilung

Patienten in der Reha neigen oft dazu, ihre wiedergewonnenen Kräfte zu überschätzen. Nicht wenige, die sich als kerngesund und wundergeheilt präsentieren, um endlich der Behandlung entfliehen zu können – und damit auch der ständigen Kontrolle und Beaufsichtigung.Griechenlands Regierung folgt einem ähnlichen Reflex, wenn sie behauptet, das Land brauche keine Anschlussfinanzierung nach Ende des laufenden Hilfsprogramms mehr. Denn erstens will sich Athen nicht länger mit der Troika über alles abstimmen müssen. Zweitens braucht die Regierungskoalition, deren Vorsprung dahinschmilzt, eine Perspektive baldiger Wiederselbstbestimmung. Und drittens lässt sich ja mit vorauseilendem Verzicht auf weitere Hilfen manche Laufzeitstreckung heraushandeln.Sicherlich ist die Versuchung für die Euro-Partner groß, sich auf die griechische Sicht der Dinge einzulassen. Schließlich entbände sie dies von der Last, den heimischen Wahlbürgern beibringen zu müssen, dass sie doch noch einmal für Griechenland nachlegen. Und: Hat nicht Irland – allen Unkenrufen zum Trotz – ein sensationelles Comeback am Markt hingelegt? Sprechen die gesunkenen Anleihenrenditen nicht dafür, dass Portugal ebenfalls den Weg des “Clean Exit” gehen sollte? Könnte dann nicht auch Griechenland ohne Nachschlag zurück an die Märkte kehren? Ist womöglich die Staatsschuldenkrise vorbei und niemand hat’s gemerkt?Wer dieser Logik folgt, macht die gleichen Fehler, die 2010 bis 2012 zu Übertreibungen in die andere Richtung führten. Irland war und ist anders als Portugal und ganz anders als Griechenland. Damals wie heute ist Differenzierung entscheidend, um keine falschen Schlüsse zu ziehen. Es ist deshalb zwar erfreulich, dass sich der Blick auf Griechenland versachlicht, indem es nicht mehr pauschal als unreformierbar abgeurteilt wird. Auf Basis eines zarten Primärüberschusses, aufgehellter Wachstumsprognosen und eines positiven Troika-Befunds ist es aber ebenso vorschnell wie unklug, laut darüber zu fantasieren, Hellas brauche wohl nichts mehr.Denn selbst wenn das Geld nächstes Jahr reichte, will sich lieber keiner der Euro-Partner vorstellen, wie schwierig es für eine griechische Regierung werden würde, ohne Druck von außen Reformen durchzusetzen und am Sparkurs festzuhalten – um nicht umgehend wieder in die gleiche Risikospirale zu geraten, die das Land zuvor an den Abgrund gebracht hat. Und um irgendwann die dreistelligen Milliardenkredite an die Euro-Partner zurückzubezahlen.