"You always speak Klartext"
Von Stefan Paravicini, Berlin”Es ist wahr, dass derjenige ein großer Staatsmann ist, der sowohl weiß, wann man von Traditionen abweichen, als auch wann man bei ihnen bleiben soll.” Mit diesem Zitat des englischen Philosophen John Stuart Mill beginnt Christine Lagarde am Montagabend ihre Laudatio auf Wolfgang Schäuble, der in Berlin “für sein kraftvolles Eintreten für ein vereintes, demokratisches Europa und eine stabile Demokratie in Deutschland” mit der “Ehren-Victoria” des Verbands der Zeitungsverleger ausgezeichnet wurde. “Und mit diesen Worten vor Augen möchte ich Wolfgangs Beitrag zum öffentlichen Leben würdigen”, sagt Lagarde, die wenige Stunden nach ihrem Start an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) zur “Nacht der Zeitungsverleger” nach Berlin geeilt ist.Die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds und den Bundestagspräsidenten verbindet mehr als der Respekt, der aus langjähriger Zusammenarbeit in Spitzenämtern gewachsen ist. Die beiden sind sich in tiefer Freundschaft zugetan. Das lässt sich am Montag nicht nur aus dem Terminkalender der EZB-Chefin ablesen. Das kann man auch hören. “In meinen Augen verkörperst du wie kaum ein anderer das Modell ,Deutschland in Europa'”, sagt Lagarde. Schäuble stehe für ein Deutschland, das energisch seine Werte verteidige und ein Leuchtfeuer des Liberalismus und der Demokratie sei, aber auch für ein Deutschland, das bereit sei, sich für den europäischen Gedanken zu bewegen.Dann hält Lagarde inne und trägt ihrem neuen Amt Rechnung. Beide seien sie Anwälte und hätten wie alle guten Anwälte einen Sinn für Haftungsausschlüsse, sagt sie in Richtung Schäuble. Sie wolle deshalb einen Disclaimer voranstellen. “Diese Veranstaltung dreht sich nicht um die EZB, nicht um Geldpolitik oder andere Fragen der Wirtschaftspolitik. Heute Abend dreht sich nur um Wolfgang Schäuble.” Für alle, die auf einen Hinweis oder eine Anspielung hoffen, die etwas für die Notenbankpolitik bedeuten könnten, hat Lagarde eine klare Botschaft. “Vergesst es, nicht heute Abend.”Tatsächlich lassen sich aus der Laudatio später keine Schlussfolgerungen auf den weiteren Kurs der Notenbank ziehen. Ein Hinweis auf die künftige Kommunikationsstrategie der neuen Notenbankchefin ist vielleicht aber doch in der englisch gehaltenen Rede versteckt, sofern sie sich an Schäubles Kommunikationsstil orientieren sollte, den sie ebenso lobte wie sein “leidenschaftliches Engagement”, seine “intellektuelle Schärfe” und sein “staatsmännisches Geschick”.”You always speak Klartext”, sagte Lagarde, und das finde sie sehr sympathisch. Dass die EZB-Chefin mit dieser Formulierung auf ein von Schäuble auf dem Höhepunkt der Eurokrise geformtes Sprach-Amalgam anspielte – “It will not happen, that there will be a Staatsbankrott in Greece” – darf man getrost ausschließen. Vielmehr lobte Lagarde den ehemaligen Finanzminister für sein Geschick in der Krise.”Ich weiß, dass das nicht einfach war. Du musstest gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland weiter dem Euro vertrauen und die zum Schutz der Währung erforderlichen Reformen angegangen werden.” Dass heute vier Fünftel der Deutschen hinter dem Euro stünden und die Währung in Europa so breiten Zuspruch erfahre wie nie zuvor, sei ein Beweis für Schäubles Geschick beim Umgang mit dieser schwierigen Aufgabe.——Die neue Präsidentin der EZB hält in Berlin eine Laudatio auf Wolfgang Schäuble.——