Zartes Lifting für die Schuldenbremse
Zartes Lifting für die Schuldenbremse
Institute wollen mehr Zeit nach einem Schock geben – Fiskalregel bremst nicht – Föderale Finanzreform empfohlen
Mehr Klarheit und Sachlichkeit wollen die Wissenschaftler des Gemeinschaftsgutachtens in die Debatte über die Reform der Schuldenbremse bringen. Sie empfehlen, allenfalls an kleinen Rädchen zu drehen. Vor allem stellen sie klar: Die Investitionsschwäche liegt nicht an den Fesseln der Fiskalregel.
wf Berlin
Eine Reform der Schuldenbremse ist kein Allheilmittel für die Schwäche der deutschen Wirtschaft, warnen die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem neuen Frühjahrsgutachten. „Insbesondere zeigt sich kein Zusammenhang zwischen der Fiskalregel und dem staatlichen Investitionsgebaren“, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft vor der Presse in Berlin. Die Debatte über eine Reform wollen die Wissenschaftler versachlichen und der Fiskalregel allenfalls ein zartes Lifting verpassen. „Wirtschaftspolitisch empfehlen die Institute eine behutsame Reform der Schuldenbremse“, sagte Kooths.
Stefan Kooths – Kiel Institut für WeltwirtschaftInsbesondere zeigt sich kein Zusammenhang zwischen der Fiskalregel und dem staatlichen Investitionsgebaren.
Die Forscher regen an, die Schuldenbremse nach einer Krise nicht abrupt scharfzustellen, sondern nur stufenweise und linear über drei Jahre wieder zu den Vorgaben zurückzukehren. Schocks wirkten typischerweise länger nach, lautet die Begründung. Ein regelgebundener Übergang würde die Finanzpolitik vorhersehbarer machen und stabilisierend wirken. Der stufenweise Übergang gehört ebenso zur „technischen Modifikation“ der Schuldenbremse wie die Überarbeitung des Konjunkturbereinigungsverfahrens, die Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) plant. Die Forscher stehen dabei aber eher auf der Bremse: Das bisher praktizierte Verfahren sei zwar nicht voll befriedigend, heißt es, doch die einschlägigen Alternativen seien dem nicht überlegen. Für denkbar halten sie es, die Budgeteffekte der CO₂-Bepreisung und der Finanzierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) aufzunehmen. Diese dürfte in der Transformation eine Rolle spielen.
Einen Kommentar zu einer möglichen Reform der Schuldenbremse finden Sie hier.
Mehr Spielraum bei Investitionen
Darüber hinaus unterstützten die Institute einen Reformvorschlag, der den Spielraum für die Neuverschuldung mit dem Schuldenstand atmen lässt und begrenzt zusätzliche neue Kredite für Investitionen erlaubt. Die Bundesbank hatte dazu 2022 ein Modell vorgelegt, der Sachverständigenrat für Wirtschaft hatte es aufgegriffen: Die Defizitquote für den Bund von derzeit 0,35% soll auf 0,5% steigen, wenn die Schuldenquote des Gesamtstaats zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) unter 60% liegt. In dem Fall ist ein Zuschlag von 0,5 Prozentpunkten für Nettoinvestitionen möglich. Liegt der Schuldenstand bei mehr als 60% des BIP, bleibt es bei einer zulässigen Defizitquote von 0,35%. Der Bund kann dann Nettoinvestitionen bis zu 0,15% des BIP über zusätzliche Kredite finanzieren. Die Forscher stellen zugleich fest, dass die Nettoinvestitionen des Bundes im Kernhaushalt 2023 und 2024 nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) negativ waren. Relevant für die Schuldenbremse ist der Kernhaushalt.
Nur moderater Effekt
Den Effekt einer Reform der Schuldenbremse schätzen die Institute als moderat ein. Sie haben international die empirische Evidenz zwischen der Strenge von Fiskalregimen und öffentlichen Investitionen untersucht. „Man findet eigentlich überhaupt keinen systematischen Zusammenhang“, sagte Oliver Holtemöller vom Wirtschaftsforschungsinstitut Halle.
Es gelinge, die staatlichen Investitionen auch bei strengen Fiskalregeln hochzuhalten. Eine Rückkehr zur „goldenen Schuldenregel“ lehnen die Wissenschaftler ab. Vor der Schuldenbremse erlaubt das Grundgesetz eine Neuverschuldung des Bundes in Höhe der Investitionen. In dieser Zeit sei in Deutschland die Staatsschuldenquote gestiegen und die Investitionsquote gesunken, unterstrich Holtemöller.
Wichtiger, als die Verschuldungskapazität auszuweiten, ist für die Institute eine Föderalismusreform III, um die Finanzverfassung neu zu gestalten. Die kommunalen Investitionen müssten von Finanznöten bei Bund und Ländern abgeschirmt werden und weniger konjunkturanfällige Einnahmen haben. Die Wissenschaftler schlagen einen Hebesatz auf die Einkommensteuer anstelle der Gewerbesteuer vor. Einen „gesamtdeutschen Rekordwert“ erreiche die Einnahmenquote der öffentlichen Hand mit 47,5% des Bruttoinlandsprodukts in diesem und 48,4% im nächsten Jahr.
Die Institute erwarten, dass die Finanzpolitik in diesem Jahr kontraktiv und im kommenden Jahr nahezu neutral wirkt. Die Fehlbeträge im gesamtstaatlichen Haushalt zum BIP gingen von 2,1% im Vorjahr auf 1,6% (2024) und 1,2% (2025) zurück. Bei den gesamtstaatlichen Einnahmen (nach VGR) rechnen die Forscher mit einem Zuwachs um 4,0% in diesem und 4,2% im kommenden Jahr.