LEITARTIKEL

Zäsur(en)

Neuer Sitzungsrhythmus des EZB-Rats, Rotation im Führungsgremium, zeitnahe Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen - das Jahr 2015 bringt für die Europäische Zentralbank (EZB) gleich drei Neuerungen. Was manchem vielleicht als langweilige,...

Zäsur(en)

Neuer Sitzungsrhythmus des EZB-Rats, Rotation im Führungsgremium, zeitnahe Veröffentlichung von Sitzungsprotokollen – das Jahr 2015 bringt für die Europäische Zentralbank (EZB) gleich drei Neuerungen. Was manchem vielleicht als langweilige, technische Formalitäten erscheinen mag, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Man kann mit Fug und Recht behaupten, das es sich für die EZB zumindest um eine doppelte Zäsur handelt – wenn nicht gar um eine dreifache, auch wenn der Rhythmus neben Rotation und Protokollen sicher etwas verblasst.Neuerung Nummer 1: Künftig entscheiden die Euro-Hüter nicht mehr alle vier, sondern nur noch alle sechs Wochen über das Auf und Ab der Leitzinsen oder unkonventionelle Maßnahmen. EZB-Präsident Mario Draghi hat das mit der großen Erwartungshaltung der Märkte alle vier Wochen begründet. Dieser Schritt ist absolut richtig: Die EZB – da ist Draghi völlig zuzustimmen – kann und sollte nicht jeden Monat handeln. Schon jetzt erscheint sie viel zu oft wie eine Getriebene der kurzfristig tickenden Märkte. Allerdings ist es ja nicht zuletzt Draghi selbst, der munter Erwartungen schürt – mitunter auch, um seine Kritiker im EZB-Rat unter Druck zu setzen. Dieses Pingpong-Spiel mit den Märkten kann aber brandgefährlich werden. Der EZB-Rat sollte den neuen Rhythmus zum Anlass nehmen, den Blick wieder stärker auf die langfristige Stabilität zu lenken. Das wird nicht leicht, weil die Märkte womöglich umso mehr verrückt spielen, wenn die EZB nur noch alle sechs Wochen entscheidet. Es ist aber dringend geboten – sonst läuft die EZB vollends Gefahr, mehr langfristigen Schaden als kurzfristigen Nutzen zu bewirken.Ebenso richtig, ja sogar längst überfällig ist Neuerung Nummer 2: die Veröffentlichung von Protokollen der geldpolitischen Sitzungen. Wenn ex post Argumentationslinien und Meinungsverhältnisse klarer sind als bislang durch die Pressekonferenzen des EZB-Präsidenten, kann das helfen, künftige Aktionen besser vorauszusehen. Das kann unnötige Verwerfungen verhindern und die Effektivität der Maßnahmen erhöhen. Protokolle sind insofern fast eine Art geldpolitisches Instrument an sich. Vor allem aber ist auch die Transparenzanforderung an die EZB heutzutage schlicht größer. Der EZB-Rat hatte stets gegen Protokolle argumentiert, dass er nach außen geschlossen auftreten wolle, auch um sich als neue Institution gegenüber der stets begehrlichen Politik zu etablieren. Zudem gab es die Sorge, dass die Zentralbanker in ihren Ländern unter Druck geraten. Beide Argumente sind nicht obsolet. Aber ihre Bedeutung ist geschwunden: Die EZB ist inzwischen etabliert. Zudem tragen die Notenbanker Streitigkeiten längst öffentlich aus. Mit Druck schließlich müssen Zentralbankchefs leben können. Die Bürger verlangen ob der enorm gewachsenen Macht der EZB zu Recht mehr Klarheit, wo welche Interessen im Spiel sind. Noch klarer würde das, wenn die EZB mitteilen würde, wer wie abgestimmt hat – wovor sie jetzt noch zurückschreckt. Im besten Fall hätte das sogar eine disziplinierende Wirkung: Jeder Einzelne müsste darlegen, dass sein Votum tatsächlich im besten Sinne des Euroraums als Ganzem ist.Neuerung Nummer 3 ist die Rotation im EZB-Rat: Künftig werden nicht mehr alle Notenbanker bei jeder Sitzung stimmberechtigt sein – auch nicht Bundesbankchef Jens Weidmann. Diese auf die Jahre 2002/2003 zurückgehende Neuerung ist indes alles andere als der Weisheit letzter Schluss: Die Entscheidungsfindung wird kaum gestrafft, weil immer noch alle am Tisch sitzen. Zugleich aber hat die EZB eine Debatte um ihre Legitimität am Hals, vor allem in Deutschland. Die Regel flugs zu ändern, ist aber illusorisch. Dafür bräuchte es ein Votum der EU-Staats- und Regierungschefs. Das scheint aktuell ausgeschlossen – und aus deutscher Sicht könnte es zudem nach hinten losgehen: Schnell könnten sich Diskussionen entzünden, gleich das Mandat der EZB aufzuweichen. Frankreich schart schon mit den Hufen, um die EZB stärker aufs Wachstum zu verpflichten. Schließlich gilt, dass Weidmann sich weiter einbringen kann – und wenn er die Mehrheit im Rat nicht überzeugen kann, bewahrt ihn auch ein permanentes Stimmrecht nicht vor einer Schlappe. Die Sorge, dass Draghi genau dann kritische Entscheidungen durchpaukt, wenn Weidmann ohne Stimmrecht ist, scheint übertrieben. Wenn er clever ist, wird Draghi genau das zu verhindern versuchen, wenn er sich seiner Mehrheit ohnehin gewiss ist. Viel essenzieller als Änderungen am Rotationsprinzip ist jetzt, dass die EZB endlich davon befreit wird – und sich auch selbst davon löst -, ständig den Ausputzer für die handlungsunwillige oder -unfähige Politik zu spielen. Das wäre wahrlich eine sehr willkommene Neuerung im Jahr 2015.——–Von Mark SchrörsDie EZB steht vor zentralen formalen Neuerungen. Das wird die Institution wandeln. Noch wichtiger aber wäre, dass sie nicht mehr den Dauerausputzer der Politik gibt.——-