DER CORONA-KAMPF DER SCHWELLENLÄNDER - INDIEN

Zeitbombe Massenarmut

Börsen-Zeitung, 24.7.2020 eh Hongkong - Über Nacht hatte Indiens Ministerpräsident Narendra Modi im März einen landesweiten Lockdown verhängt - und damit nicht nur das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht, sondern eine Massenpanik ausgelöst....

Zeitbombe Massenarmut

eh Hongkong – Über Nacht hatte Indiens Ministerpräsident Narendra Modi im März einen landesweiten Lockdown verhängt – und damit nicht nur das öffentliche Leben zum Stillstand gebracht, sondern eine Massenpanik ausgelöst. Obwohl die Ansteckungen mit Covid-19 jüngst erneut deutlich angestiegen sind, kommt Asiens drittgrößte Volkswirtschaft dank einer schrittweisen Aufhebung der Quarantäne allmählich in Gang. Allerdings wird es angesichts der eingebrochenen Binnennachfrage wie auch Exporte lange dauern, bis die Wirtschaftsleistung den Stand vor der Pandemie erreicht. Nach Schätzungen des Beratungsunternehmens TS Lombard wird Indiens Bruttoinlandsprodukt (BIP) in dem bis Ende März 2021 dauernden Fiskaljahr 4,5 % schrumpfen.An der Börse Mumbai haben die Aktienkurse längst wieder Auftrieb erhalten, vor allem dank der extrem lockeren Geldpolitik der Notenbank. Die Reserve Bank of India (RBI) hatte den Leitzins angesichts einer sich rasant abkühlenden Konjunktur bereits im Vorjahr 135 Basispunkte gesenkt. Als Antwort auf die Pandemie hat sie den maßgeblichen Reverse-Repo-Satz weitere 115 Basispunkte nach unten korrigiert, er steht mittlerweile auf einem Rekordtief von 4 %. Der Leitindex BSE Sensex nimmt nach zeitweise mehr als 40 % Minus wieder Kurs auf sein im Januar erreichtes Rekordhoch, nicht zuletzt dank fester IT- und Pharmawerte.In scharfem Kontrast dazu steht die politisch-gesellschaftliche Realität. Die Regierung hat aus Sorge um die aus dem Ruder laufenden Staatsfinanzen und einen Inflationsschub zögerlich auf den Einbruch reagiert. Das bisher geschnürte Konjunkturpaket entspricht lediglich 2 % des BIP. Trotzdem dürfte das angepeilte Haushaltsdefizit von – 3,5 % nicht zu halten sein, wie die Regierung einräumte. Die Ratingagentur Fitch hat Indien eine Herabstufung der Bonität auf Ramschniveau in Aussicht gestellt. Das größte Risiko des Landes sind indes nicht die Staatsfinanzen. Durch die Pandemie haben Hunderte Millionen Bürger ihre Arbeit verloren und sind angesichts eines weitgehend fehlenden sozialen Netzes mit ihren Familien ins Elend abgerutscht. Das schwächt nicht nur den Binnenkonsum. In der weltgrößten Demokratie tickt dadurch vor allem eine politische Zeitbombe.