NOTIERT IN MOSKAU

Zeitenwechsel und Militärpopulismus

Wie sich doch die Zeiten geändert haben! Wenige Jahre ist es her, dass die russischen Vertreter beim Wirtschaftsforum in Davos immer noch die umgarntesten aller Gäste waren. Abgesandte eines aufstrebenden Landes, das von der Nachfrage der...

Zeitenwechsel und Militärpopulismus

Wie sich doch die Zeiten geändert haben! Wenige Jahre ist es her, dass die russischen Vertreter beim Wirtschaftsforum in Davos immer noch die umgarntesten aller Gäste waren. Abgesandte eines aufstrebenden Landes, das von der Nachfrage der postsowjetischen Aufbauzeit und vom Glücksfall der jahrelangen Rohstoffhausse, die fast zeitgleich mit Wladimir Putins Amtsantritt im Jahr 2000 begonnen hatte, in die Höhe gezogen wurde.Ganz am Anfang von Putins Amtszeit als Präsident hatte man sich in Davos ratlos und neugierig gefragt, wer die Russen generell sind und wer Mr. Putin im Speziellen ist. Heute meint man, schon schlauer geworden zu sein. Bezeichnend ist, dass die Staatsführung schon zu Beginn des diesjährigen Weltwirtschaftsforums zu Hause blieb, weil sie anderes und Dringlicheres zu tun hatte – wie etwa, den aktuellen Krisenbekämpfungsplan zu besprechen. Schließlich ist für Russland ein außergewöhnlich schwieriges Jahr angebrochen, für das die Zentralbank einen Wachstumseinbruch von über 4 % prophezeit, falls der Ölpreis bei 60 Dollar je Barrel verharrt.Bisher hatten diejenigen, die nach Davos fuhren, die freudige oder lästige Aufgabe gehabt, Russlands Wirtschaft zu repräsentieren, das Land vorzustellen und zu zeigen, dass man in und mit Russland Geschäfte machen kann. Das war auch deshalb immer herausfordernd, weil sich die Regeln in Russland ständig änderten und daher gleichermaßen Interesse des Westens sowie Misstrauen bestand, das es zu entkräften galt.In diesem Jahr war die Delegation kleiner. Und auch die Erwartungen an sie waren geringer. Zum einen ist Russland wegen der Ukraine-Krise isoliert. Zum anderen glaubt und traut man Putins Versprechungen ohnehin kaum noch. Und zum Dritten ist nicht zu sehen, was im Moment an Reformen und attraktiven Wendungen zu erwarten wäre, damit Russland wieder “in” wird. Im Großen und Ganzen beschränkt sich die Wirtschaftspolitik auf das Stopfen von Löchern und auf das Verteilen bestehender Ersparnisse, die schon bald schmerzlich fehlen werden.In Davos haben sich in diesem Jahr die russischen Unternehmer daher vermehrt mit chinesischen und indischen Abgesandten unterhalten. Dies nicht nur deshalb, weil Russland einen Schwenk nach Asien vollzieht, sondern weil westliche Vertreter etwas Scheu hatten, zu viel mit Russen gesehen zu werden. Im Übrigen wurden dem Westen gegenüber Trotz, Ärger über die Sanktionen und Durchhalteparolen geäußert – selbst von jenen, die dem liberalen Lager in Russland zugeordnet werden.Sollten bei jemandem im Jahr 2015 Fragen offengeblieben sein, wer oder was das heutige Russland und Mr. Putin sind, so musste er nur Vizepremier Igor Schuwalow, Russlands oberstem Abgesandten in Davos, zuhören. Die Krise, so Schuwalow, sei die beste Chance für wirtschaftliche Reformen – und zwar noch besser als 2008, weil die aktuelle Situation schlechter sei. Die Ukraine-Krise und die westlichen Sanktionen würden zwar die wirtschaftliche Situation verschlechtern, aber ohne diese erschwerenden Umstände würde die Bevölkerung nicht so sehr hinter Putin stehen. Das aber wiederum ermögliche es, das Land zu modernisieren, weil die Russen unter den Bedingungen des äußeren Drucks zwar weniger essen, aber ihren Anführer nicht im Stich lassen werden. “Wir müssen weniger essen und weniger Strom verbrauchen”, so Schuwalow. Und das Problem der Ukraine könne nicht gelöst werden, solange der Westen mit Russland nicht auf Augenhöhe zu reden beginne.In Schuwalows Ausführung wurde das Programm des “militärischen Populismus” paraphrasiert, der billiger sei als der soziale Populismus, weil die Menschen ja laut Schuwalow die Gürtel enger schnallen, so die Wirtschaftszeitung “Wedomosti” in einem Kommentar: Aus Schuwalows “Rationalisierungen” lasse sich der Denkprozess im Inneren des Kremls ablesen. Und dieser Prozess sei gekennzeichnet durch eine extreme Widersprüchlichkeit und die Abhängigkeit von äußeren Reizen. Mit großen Auswirkungen auf die Modernisierungsagenda, denn diese habe demnach zwei Aggregatzustände: Ist viel Geld da, fehlen für Reformen die Anreize, und herrscht Krise, dann fehlt dafür das Geld.