ZEW-Index trotzt Brexit-Angst

Erwartungs- und Lagekomponente für Deutschland steigen überraschend vor dem britischen EU-Referendum

ZEW-Index trotzt Brexit-Angst

Kurz vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien blicken Finanzmarktexperten überraschend optimistisch auf die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland in den kommenden sechs Monaten. Die Sorgen konzentrieren sich aktuell auf das Vereinigte Königreich.ba Frankfurt – Das Damoklesschwert des Brexit hängt über der konjunkturellen Entwicklung, und dennoch blicken Finanzmarktexperten unverhofft optimistisch auf die Aussichten für die deutsche Wirtschaft in den anstehenden sechs Monaten. Ökonomen bezeichneten unisono die Ergebnisse der jüngsten Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unter 202 Analysten und institutionellen Anlegern als positive Überraschung angesichts des am Donnerstag anstehenden EU-Referendums in Großbritannien. So sind die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland im Juni um 12,8 auf 19,2 Punkte geklettert und damit auf den höchsten Stand seit August vergangenen Jahres. Der Index setzt damit die Erholungsbewegung nach der kurzen Unterbrechung im Vormonat fort, als er um 4,8 auf 6,4 Zähler gesunken war. Bankvolkswirte hatten einen Rückgang auf 4,8 Punkte erwartet. Aber auch die aktuelle Lage wurde besser eingeschätzt als im Vormonat – der entsprechende Indikator kletterte um 1,4 auf 54,5 Punkte.”Die verbesserten Einschätzungen der Finanzmarktexperten zeugen von einem Grundvertrauen in die gegenwärtige Widerstandsfähigkeit der deutschen Konjunktur”, sagte der seit April amtierende ZEW-Präsident Achim Wambach. Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft blieben allerdings schwierig. Denn neben der verhaltenen weltwirtschaftlichen Dynamik sorge vor allem das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU für Verunsicherung, so Wambach.Britischen Meinungsumfragen zufolge liegen derzeit die “Bremainians” und die “Brexiteers” gleichauf. Die Teilnehmer der ZEW-Umfrage dürften sich relativ sicher sein, dass das Königreich in der EU verbleibe, und stünden auf Seite der britischen Buchmacher, die sich in ihrem Urteil ebenfalls recht sicher seien, urteilt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Unter dieser Annahme mache der klare Anstieg des ZEW-Barometers Sinn, die deutsche Wirtschaft sei auf einem relativ soliden Kurs. ING-DiBa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski vermutet, die deutschen Anleger glaubten entweder nicht an ein Ausscheiden Großbritanniens oder hätten schlicht keine Angst vor den möglichen Folgen.Laut Stefan Kipar von der BayernLB nehmen die Umfrageteilnehmer die Konjunktur im Euroraum und speziell in Deutschland zunehmend wieder als stark und widerstandsfähig wahr. Die Brexit-Sorgen konzentrierten sich hauptsächlich auf mögliche negative Effekte in Großbritannien. So haben sich die Erwartungen der Finanzmarktexperten für die Konjunkturentwicklung der Eurozone im Juni um 3,4 auf 20,2 Punkte verbessert. Regional betrachtet verzeichneten auch Italien und Frankreich Zuwächse, aber deutlich geringer als Deutschland. Der Erwartungsindex für Großbritannien schwächte sich auf niedrigem Niveau weiter ab. Die aktuelle Lage notierte mit – 10,0 Zählern um 0,8 Punkte unter dem Niveau vom Mai.Sollte die Entscheidung für einen Brexit ausfallen, drohe “ein böses Erwachen und die heutigen Zahlen wären bereits am Freitag Makulatur”, sagte Nord/LB-Ökonom Christian Lips. Ohne politische Störfeuer sei die deutsche und europäische Konjunktur aber auf einem guten Weg.