EZB-FORUM IN SINTRA

Zinsdebatte zwischen Quinoa-Salat und Steinbutt

Von Mark Schrörs, zzt. Sintra Börsen-Zeitung, 20.6.2018 EZB-Präsident Mario Draghi will direkt zur Sache kommen. "Guten Morgen, Kollegen, liebe Teilnehmer", sagt er nur knapp, als er gestern im dunklen Anzug mit blauer Krawatte ans Rednerpult im...

Zinsdebatte zwischen Quinoa-Salat und Steinbutt

Von Mark Schrörs, zzt. SintraEZB-Präsident Mario Draghi will direkt zur Sache kommen. “Guten Morgen, Kollegen, liebe Teilnehmer”, sagt er nur knapp, als er gestern im dunklen Anzug mit blauer Krawatte ans Rednerpult im Tagungsraum Coroa I der Penha Longa in Sintra tritt. “Die Wirtschaft des Euroraums setzt ihren Wachstumskurs fort, und die Inflation kehrt allmählich zu unserem Ziel zurück”, legt er dann gleich los mit seiner Eröffnungsrede vor den rund 150 Gästen, die die Europäische Zentralbank (EZB) zu ihrer fünften geldpolitischen Konferenz in die luxuriöse Hotelanlage in der portugiesischen Kleinstadt geladen hat.Eigentlich hat die EZB mit dieser Konferenz in der ehemaligen Ferienresidenz der portugiesischen Könige ein Forum schaffen wollen, um sich jenseits des alltäglichen Geschäfts und etwas abgeschieden mit grundsätzlichen Herausforderungen für die Zentralbanker zu befassen. Vorbild ist Jackson Hole, das jährliche Stelldichein der globalen Notenbankelite in den USA. Draghi selbst aber nutzt seinen Auftritt primär, um die aktuelle Entscheidung der EZB von vergangener Woche noch einmal zu erklären – und zu verteidigen. Am Donnerstag hat die EZB in Aussicht gestellt, die besonders in Deutschland kritisierten Anleihekäufe (Quantitative Easing, QE) zum Jahresende 2018 einzustellen, zugleich aber bis weit ins Jahr 2019 hinein an den rekordniedrigen Leitzinsen festzuhalten. Keine schnelle ZinsanhebungIn seiner knapp 25-minütigen Rede sagt Draghi, dass sich zwar die Dynamik der Euro-Wirtschaft abgeschwächt habe und die Risiken zugenommen hätten – dass aber weiter alles für anhaltend “solides” Wachstum spreche. Er argumentiert, dass zwar die Reaktion von Löhnen und Inflation auf das Wachstum in den vergangenen Jahren “atypisch langsam” gewesen sei – dass der EZB-Rat aber einen “substanziellen Fortschritt” sehe mit Blick auf das Erreichen des 2-Prozent-Inflationsziels. Und er betont, dass die Euro-Wirtschaft zwar weiter eine “umfangreiche geldpolitische Akkommodierung” brauche, dass die Euro-Hüter aber trotzdem erwarten, QE zum Jahresende beenden zu können.Vor allem aber untermauert Draghi erneut, dass sich der EZB-Rat viel Zeit lassen werde mit einer Anhebung der Leitzinsen nach einem Ende von QE. “Wir werden bei der Festlegung des Zeitpunkts der ersten Zinserhöhung geduldig bleiben und bei der anschließenden Anpassung der Politik einen schrittweisen Ansatz verfolgen”, sagt er. Und damit die Botschaft im Saal wie weltweit – die Konferenz wird via Webcast übertragen – auch auf keinen Fall untergeht, wiederholt er zum Ende seiner Rede noch einmal: “Die Geldpolitik im Euroraum wird geduldig, hartnäckig und umsichtig bleiben” – wobei er mit einem Schmunzeln hinzufügt: “Das wird Sie jetzt nicht überraschen.” Tatsächlich ist das seit einiger Zeit das Mantra der EZB.Den Blick auf die großen Zukunftsfragen zu werfen, vor allem auf das diesjährige Thema “Preis- und Lohnsetzung in den entwickelten Volkswirtschaften”, die Aufgabe kommt in Sintra zunächst anderen zu. Wie hat sich das Zusammenspiel aus Unterauslastung und Inflation verändert – vor allem bekannt durch die Phillipskurve? Was wissen wir über Inflationserwartungen und wie lassen sich diese als Instrument der Geldpolitik einsetzen? Das sind Fragen, die EZB-Chefvolkswirt Peter Praet an Tag 1 mit anderen Zentralbankern und Wissenschaftlern diskutiert. Insbesondere die Kommunikation der Währungshüter spielt am Ende eine zentrale Rolle (siehe Text unten). Notenbanker abgeschirmtEs ist nicht zuletzt diese Diskussion, die auch jenseits des Tagungsraums fortgesetzt wird. In kleinen Gruppen stehen die Notenbanker, Ökonomen und Wissenschaftler in den Pausen zusammen oder laufen bei strahlendem Sonnenschein und einer fast stetigen kühlen Brise vom nahen Atlantik durch die weitläufige Gartenanlage der Penha Longa – komplett abgeschirmt von zahlreichen Polizisten und Security. Bereits am Montagabend hat Ex-US-Finanzminister Lawrence Summers beim Auftaktdinner den anderen anwesenden Notenbankern mit auf den Weg gegeben, wie groß aus seiner Sicht der Bedarf zur Neuausrichtung der Geldpolitik ist – wissend, dass “mein Freund Mario Draghi” ihn auch eingeladen habe, um intellektuell zu provozieren und jede Orthodoxie zu hinterfragen, wie es Summers selbst formuliert.Und Summers, Apologet der Theorie der “säkularen Stagnation”, enttäuscht diese Erwartung nicht. Sein Credo zwischen Quinoa-Salat, Steinbutt mit Gemüse-Spaghetti und Schokoladen-Dessert: Gemessen an der Schwere der Weltfinanzkrise sei es überraschend und unverständlich, dass die Geldpolitik noch immer vom gleichen Paradigma wie vor der Krise dominiert sei. Nach der Großen Depression der 1930er Jahre und der Großen Inflation der 1970er Jahre habe es dagegen fundamentale Veränderungen gegeben.Das fordert Summers auch jetzt: Die Notenbanken sollten nicht mehr allein auf die Sicherung von Preisstabilität ausgerichtet und fokussiert sein. Als weiteres Ziel sollte sie eine “maximale dauerhafte Vollbeschäftigung” anstreben, so Summers.Gestern lassen die Zentralbanker diese Forderung zumindest in den offiziellen Diskussionen noch weitgehend unkommentiert. Das kann sich möglicherweise ändern, wenn heute zum Abschluss der Konferenz Draghi mit den Zentralbankchefs Jerome Powell (USA), Haruhiko Kuroda (Japan) und Philip Lowe (Australien) diskutiert. Wenn nicht, bietet der Vorschlag sicher Stoff für künftige Konferenzen.—–Die EZB diskutiert in Sintra Zukunftsfragen. Draghi verstärkt vorsichtigen Ausblick. —–