VOR DER ZINSWENDE

Zinsdruck auf die Schwarze Null

Spielraum im Bundesetat wird enger - Vorsorge im Schuldenmanagement durch längere Laufzeiten

Zinsdruck auf die Schwarze Null

Von Angela Wefers, BerlinManch einer wird sich später an die goldenen Jahre erinnern, in denen Deutschland einen ausgeglichenen Bundeshaushalt hatte – beneidet und gefürchtet von seinen Nachbarn in der EU. Während andere Länder mit Defiziten in ihren öffentlichen Haushalten kämpften, schaffte der deutsche Finanzminister seit 2014 eine schwarze Null – und zeigte dem Rest der Welt den erhobenen Zeigefinger, verbunden mit der Mahnung, ebenfalls zu sparen. Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und Strukturreformen – so lautete die deutsche Zauberformel für anhaltendes Wirtschaftswachstum. Mit der schwarzen Null war es dabei nicht genug: Die Investoren brachten in der alten Legislaturperiode auch noch Geld mit, um Emissionen zur Finanzierung der Bundesschuld zu kaufen. Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) strich hohe Agien im Bundeshaushalt ein. Hohe ErsparnisseKünftig wird es indes für die öffentliche Hand schwerer werden, einen Kurs ohne Neuverschuldung zu halten. Neben der guten Konjunktur und der hohen Beschäftigung, die die Steuereinnahmen sprudeln lassen, trug in den vergangenen Jahren schließlich auch das historische Zinstief maßgeblich zur Entlastung der Etats bei. Von 2008 bis 2016 sparte der Gesamtstaat laut Bundesbank insgesamt und kumuliert Zinsausgaben von rund 240 Mrd. Euro – 7,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Bund spürte die lockere Geldpolitik nicht nur in absolut sinkenden Zinsausgaben (siehe Grafik). Auch die Zinsausgabenquote hat sich bei moderat steigenden Gesamtausgaben in den acht Jahren bis 2016 mehr als halbiert: von 14,2 % auf 5,5 %. Das All Time High der Zinsausgabenquote lag im Jahr 1999 mit 16,6 %.Obwohl der Bund seit 2014 keine neuen Schulden mehr macht, verschuldet er sich dennoch weiter und löst damit fällige Bundespapiere ab. Die Bruttokreditaufnahme liegt laut Etatplan für 2018 bei 182,7 Mrd. Euro. Die Gesamtverschuldung der Kernhaushalte des Bundes einschließlich der Sondervermögen mit Kreditermächtigung (Finanzmarktstabilisierungsfonds Soffin sowie Investitions- und Tilgungsfonds) weist der Bund im Bericht über seine Kreditaufnahme per Ende 2016 mit rund 1 089 Mrd. Euro aus. Der durchschnittliche Zinskostensatz der Gesamtverschuldung lag demnach bei 1,90 %. Grob gesagt würde also der Anstieg der Durchschnittsverzinsung um 1 Prozentpunkt im Schuldenportfolio des Bundes zu knapp 11 Mrd. Euro mehr Zinsausgaben im Jahr führen.Wer einen höheren Schuldenstand des Bundes im Kopf hat, irrt dennoch nicht. In der Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung betrug die Verschuldung Ende 2016 knapp 1 260 Mrd. Euro. Zu den Kernhaushalten kommen die Extrahaushalte hinzu, wie öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen des Staatssektors. Dazu gehören unter anderem die Abwicklungsanstalten, aber auch Stiftungen oder Forschungseinrichtungen.Die sich anbahnende Zinswende wird den finanziellen Spielraum der öffentlichen Hand wieder einschränken – allerdings verzögert und abhängig von den Laufzeiten im Schuldenportfolio. Die mittlere Zinsbindungsfrist beim Bund ist nach der Finanzkrise wieder deutlich gestiegen: Hatte sie 2009 ohne Zinsswaps noch bei 6,09 Jahren und mit Zinsswaps bei 5,83 Jahren gelegen, erreichte sie Ende 2016 für beide Varianten rund 6,8 Jahre. Von 2020 an haben die Haushälter im Ministerium in der Finanzplanung wieder höhere Zinsausgaben unterstellt sowie eine Zinsausgabenquote, die bis 2021 auf 6,1 % gestiegen sein wird. Die Prognose beruht auf dem Schuldenportfolio, der Kreditaufnahme für Tilgungen, Swapverträgen und Kassenfinanzierungen. Ein kleiner Gipfel bei den Zinsausgaben 2018 resultiert aus der Annahme, dass keine Einnahmen aus Agio wegen negativer Renditen mehr zu erwarten sind.Ob sich Schäubles Erfolgsgeschichte der schwarzen Null in der künftigen Regierung fortschreiben lässt, ist ungewiss. Der Entwurf des Bundeshaushalts 2018 samt mittelfristiger Finanzplanung bis 2021 wird von der neuen Regierung wieder verhandelt werden. Einerseits hat sich da zwar das Bewusstsein auf breiter Front gewandelt: CDU und CSU waren sich bei der Sondierung zu einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen immerhin einig im Bekenntnis zu einem Bundeshaushalt ohne Schulden für vier Jahre. Und auch die SPD hat in ihrem Programm zur Bundestagswahl versprochen: “Wir betreiben eine Steuer- und Finanzpolitik, die die Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens gewährleistet und trotzdem nachhaltig, gerecht und ohne neue Schulden gestaltet wird.” Damit haben sich die Sozialdemokraten gebunden, selbst wenn sie im Fall der Neuauflage einer großen Koalition das Bundesfinanzministerium führen sollten.Andererseits passen aber nicht alle im Wahlkampf gemachten Versprechen neuer Sozialleistungen, wie sie die CSU bei der Mütterrente oder die SPD bei Solidarrente und Bürgerversicherung gemacht hat, zum Ziel der schwarzen Null – auch wenn durch diese Maßnahmen primär wohl die Etats jenseits der noch jungen Legislaturperiode massiv belastet würden. Gegen solche Belastungen kann dann auch kein Schuldenmanager des Bundes am Kapitalmarkt gegensteuern. Zur Disziplin verpflichtetDer komplett sorglose Rückfall in alte Zeiten hoher Neuverschuldung ist mit der Schuldenbremse im Grundgesetz aber ohnehin blockiert. Der Bund hat das Limit eines strukturellen Defizits von maximal 0,35 % des BIP schon vor dem Pflichtjahr 2016 unterschritten. Den Ländern bleibt Zeit bis 2020, dann aber null Spielraum für strukturelle Defizite. Bis auf wenige Ausnahmen haben auch sie den Ausgleich schon geschafft. Der relative Schuldenstand des Gesamtstaates sinkt derzeit durch Wirtschaftswachstum bei konstantem Schuldenstand. Der Stabilitätsrat von Bund und Ländern erwartet, 2019 die Maastricht-Schwelle von 60 % des BIP wieder zu unterschreiten.