Zinssenkung in Türkei schürt Inflationssorgen
rec Frankfurt
Trotz eines anhaltend hohen Inflationsdrucks hat die türkische Notenbank ihren Leitzins drastisch heruntergenommen. Am Donnerstag senkte sie den Satz für einwöchige Refinanzierungsgeschäfte um 2 Prozentpunkte auf 16%. Volkswirte hatten nach der überraschenden Zinssenkung im September zwar einen weiteren Abwärtsschritt auf der Rechnung, im Durchschnitt aber nur um 1 Prozentpunkt.
Die Reaktionen von Devisenhändlern und Analysten fielen angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 19,6% heftig aus. Die Lira fiel zeitweise um fast 3% auf neue Allzeittiefs zu Dollar und Euro. „Die türkische Zentralbank spielt jetzt mit dem Feuer“, sagte Liam Peach, Schwellenländerexperte von Capital Economics. Die Glaubwürdigkeit der Notenbank liege restlos in Trümmern. Seine Kollegin Maya Senussi von Oxford Economics konstatierte: „Die Zentralbank hat eindeutig den Auftrag, das Wachstum um jeden Preis zu fördern.“ Unter Ratingexperten geht nun mehr denn je die Sorge vor einer neuerlichen Zahlungsbilanzkrise wie im Jahr 2018 um.
Zentralbankchef Sahap Kavcioglu, ein Gefolgsmann von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, hatte zuletzt die Bedeutung der Kerninflation betont. Die Teuerungsrate ohne die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Nahrungsmittel ist leicht zurückgegangen, mit knapp 17% aber immer noch vergleichsweise hoch. Für Aufsehen sorgte im Vorfeld des Zinsentscheids, dass drei Notenbanker das Entscheidungsgremium die Notenbank verlassen mussten. Bereits in Reaktion darauf war die Lira abgesackt.
Erdogan macht verbal immer wieder Druck auf die Notenbank, den Leitzins herunterzuschrauben. Er ist dafür bekannt, sich unvermittelt in die Personalpolitik der Notenbank einzumischen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat er dreimal den Chef der Zentralbank entlassen. Das nährt unter Beobachtern und an den Märkten Zweifel an der Unabhängigkeit der Geldpolitik. Die aggressive Zinssenkung der Zentralbank trotz hoher Inflation bestärkt Beobachter nun in dieser Sorge.
Höheres Wachstum erwartet
Dahinter steht offenbar das Kalkül, die Wirtschaft durch eine regere Kreditvergabe anzukurbeln. Eine hervorragende Auftragslage in der Industrie hat die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und andere Volkswirte veranlasst, ihre Wachstumsprognosen für das laufende und das kommende Jahr anzuheben. Der IWF erwartet nun 9,0% Wachstum in diesem und 3,3% Wachstum im kommenden Jahr. Als eine von wenigen Volkswirtschaften war die türkische Wirtschaft auch im Coronajahr 2020 gewachsen, um 1,8%.