Zur Verteidigung der Globalisierung
Von Mark Schrörs, FrankfurtSeit dem 20. Januar 2017 ist im Grunde nichts mehr, wie es einmal war. Seit Beginn seiner Amtszeit, aber immer kompromissloser stellt US-Präsident Donald Trump die seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelte und etablierte Weltordnung fundamental auf den Kopf. Er riskiert den Zusammenhalt im Nato-Verteidigungsbündnis und kokettiert sogar mit dem Ausstieg. Er stellt die transatlantischen Freundschaften zur Disposition und stößt langjährigen Partnern vor den Kopf. Statt Vertrauen und Verlässlichkeit herrschen Eigensinn und Unberechenbarkeit. Nun war und ist sicher nicht alles perfekt – aber die Grundpfeiler von 70 Jahren Nachkriegsordnung haben sich bewährt. Jetzt scheint sich diese alte Welt dennoch aufzulösen, ohne das klar wäre, wie die neue aussehen wird. Diese Ungewissheit muss Sorgen machen. Multilateralismus in der KritikDas gleiche, bedrohliche Bild bietet sich auch mit Blick auf die internationale Wirtschaftsordnung. Trump attackiert den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank und damit ausgerechnet jene Bretton-Woods-Institutionen, die seit 1945 im Zentrum des globalen Wirtschafts- und Währungssystems stehen. Er stellt den Konsens im Kreis der G20, der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, infrage, die nach der Weltfinanzkrise zu einer Art globaler Wirtschaftsregierung aufgestiegen ist. Statt Multilateralismus und Globalisierung predigt er “America first” und Abschottung. Auch da gilt: Bei aller offenkundigen Imperfektion – ohne diese über Jahrzehnte gewachsene Ordnung war die Welt sehr viel unvollkommener als heute.Nun gehört zur ganzen Wahrheit zweifelsohne, dass Trump nicht der Erste ist, der unverhohlen Kritik an Multilateralismus und Globalisierung übt. Im Gegenteil: Speziell die Weltfinanzkrise 2008, die die Welt fast in eine Große Depression wie in den 1930er Jahren gestürzt hätte, hat Zweifel und Kritik am bestehenden Wirtschaftssystem befeuert. Nicht zuletzt der daraus resultierende Frust über “die Eliten”, die verbreiteten, wenn auch teils diffusen Abstiegsängste speziell der Mittelschicht und der Vertrauensverlust in staatliche Institutionen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Trump überhaupt erst das Weiße Haus erobern konnte – oder in Großbritannien per Referendum der EU-Ausstieg beschlossen wurde. Trump ist aber nicht nur Symptom, sondern auch Ursache – weil er das Unbehagen wie eine Art Verstärker potenziert. Umso wichtiger ist, dass alle, die fest von Multilateralismus und Globalisierung überzeugt sind, entschlossener für ihre Werte einstehen.Speziell was die Globalisierung betrifft, ist sie alles in allem eine Erfolgsgeschichte. Sie hat den Wohlstand der Menschen in den vergangenen 50 Jahren enorm gemehrt. Globalisierung und freier Handel haben weltweit das Wirtschaftswachstum angekurbelt. Für die Jahre 1990 bis 2016 taxiert der 2018er Globalisierungsreport der Bertelsmann-Stiftung den Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den 42 untersuchten Industrie- und Schwellenländern aufgrund der voranschreitenden Globalisierung auf rund 1 Bill. Euro. pro Jahr – was etwa der Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft wie Mexiko entspricht.Die Globalisierung war in den vergangenen Jahrzehnten zudem maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass der Anteil der in großer Armut lebenden Weltbevölkerung wie auch die Einkommensungleichheit zwischen Ländern abgenommen hat. Das gilt in besonderem Maße für China.Wenn die Globalisierung nun trotzdem erneut im Kreuzfeuer der Kritik steht, hat das vor allem zwei Gründe – einen unberechtigten und einen berechtigten: Viel zu oft muss die Globalisierung als Sündenbock herhalten für viele Nachteile der modernen Wirtschaft und Gesellschaft, die zum Beispiel wohl mehr aufs Konto des technologischen Fortschritts als der Globalisierung gehen. Tatsächlich aber gibt es auch Probleme, weil etwa die Gewinne zwischen Industrie- und Schwellenländern, vor allem aber innerhalb einzelner Staaten ungleich verteilt sind.Die Lösung liegt aber nicht darin, das Rad der Globalisierung zurückzudrehen – was auch de facto kaum mehr möglich erscheint. Die Politik muss sich vielmehr viel stärker um die Verlierer kümmern und die Globalisierung besser und gerechter gestalten. Das gilt etwa bei der Steuerung der Migration, bei der Schließung von Steuerschlupflöchern und der Stabilisierung teils sehr volatiler Kapitalströme. “Globalisierung 4.0” ist das Schlagwort, das auch das Weltwirtschaftsforum in Davos 2019 dominieren wird. Bei aller berechtigten Kritik bleibt es aber Tatsache, dass offene Volkswirtschaften alles in allem mehr Chancen bieten und Wohlstand versprechen als geschlossene.Genauso wenig wie eine Abkehr von der Globalisierung ist eine Abkehr vom Multilateralismus und den ihn verkörpernden Institutionen aktuell angezeigt. Ganz im Gegenteil: Globale Probleme erfordern globale Antworten – ob es nun die Flüchtlingsströme, der Klimawandel oder das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft betrifft. Es ist jetzt also nicht angezeigt, die Zeit des “Postmultilateralismus” auszurufen. Es muss vielmehr darum gehen, diese Institutionen, die bei Weitem nicht vollkommen sind, fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Nötig ist es etwa, das gestiegene Gewicht aufstrebender Volkswirtschaften widerzuspiegeln – und sie zugleich stärker in die Pflicht zu nehmen.Es muss auf jeden Fall klar sein, dass in einer globalisierten Welt mehr und nicht weniger Kooperation das Gebot der Stunde ist. Wohin hingegen Nationalismus, Protektionismus und Abschottung führen, haben die 1930er Jahre, als solches Gebaren in die Weltwirtschaftskrise mündete, auf beängstigende Weise gezeigt. Das sollte Lehre genug sein. Kampf um globale HerrschaftDer multilaterale Ansatz, die enge internationale Kooperation kann im Idealfall auch helfen, eine der größten, wenn nicht die größte Bedrohung dieser Tage einzudämmen: eine Eskalation des Streits zwischen den USA und China, weit über die aktuellen Handelsscharmützel hinaus. Denn bei dem Streit geht es nicht nur um Handelsdefizite und Wechselkurse. Es geht nicht einmal nur um die technologische und ökonomische Führerschaft in der Welt. Es geht am Ende des Tages um die geopolitische Vorherrschaft im 21. Jahrhundert.China ist die aufsteigende und zunehmend selbstbewusst auftretende Macht, die die Herrschaft der bisherigen Vormacht USA herausfordert – und bedroht. Die Geschichte ist voller Beispiele, in denen eine etablierte Großmacht und ein aufstrebender Herausforderer um die globale Führerschaft gekämpft haben. Im antiken Griechenland war es Sparta, das sich mit fatalen Folgen gegen das aufstrebende Athen wandte; vor dem Ersten Weltkrieg war es die Rivalität zwischen England und Deutschland, die alles dominierte.Laut dem Harvard-Politologen Graham Allison war in 12 von 16 Fällen, in denen es in den vergangenen 500 Jahren eine rasche Machtverschiebung zwischen einer aufsteigenden und einer vorherrschenden Nation gab, Krieg das Resultat. Das lässt Schlimmes befürchten. Es gibt aber eben auch jene 4 von 16 Fällen, in denen Vernunft, Zurückhaltung und strategische Geduld den Konflikt vermieden. Das muss auch jetzt wieder gelingen. Das Letzte, was die Welt braucht, ist ein Kalter Krieg zwischen den USA und China – von einem echten Krieg ganz zu schweigen.