NOTIERT IN MAILAND

Zurück in die Vergangenheit

Das Jahr 2017 steht in Italien ganz im Zeichen der Nostalgie. Reformen scheinen tabu, nachdem die entsprechende Politik von Ex-Regierungschef Matteo Renzi weitgehend gescheitert ist. Auch das neue Wahlrecht, welches eine grundlegende Vereinfachung...

Zurück in die Vergangenheit

Das Jahr 2017 steht in Italien ganz im Zeichen der Nostalgie. Reformen scheinen tabu, nachdem die entsprechende Politik von Ex-Regierungschef Matteo Renzi weitgehend gescheitert ist. Auch das neue Wahlrecht, welches eine grundlegende Vereinfachung der Regierungsarbeit in Italien ermöglichen sollte, ist kein Thema mehr. Vielmehr wurde das 1994 eingeführte und bis 2006 gültige Wahlgesetz Mattarellum aus der Mottenkiste geholt. Danach würden drei Viertel der Sitze in der Abgeordnetenkammer nach dem Mehrheitswahlprinzip und nur ein Viertel proportional nach dem Stimmenanteil der Parteien vergeben. Der Senat bliebe in alter Form bestehen. Die Abschaffung des Zweikammersystems steht nicht mehr zur Diskussion. Dies hätte freilich nicht nur Kosten gespart, sondern auch den langwierigen Entscheidungsprozess bei der Umsetzung von Gesetzen verkürzt. Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, dem schon längst sein politisches Ende vorausgesagt ist, gewinnt wieder an Bedeutung. Zwar wird seine Partei Forza Italia mit 12 % Stimmenanteil künftig nicht das Sagen haben. Aber sie steht als möglicher Koalitionspartner der Regierungspartei Partito Democratico bereit.Nicht nur bei den traditionellen Parteien ist die Rückkehr in die Vergangenheit festzustellen. Auch die Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) des Komikers Beppe Grillo, die seit ihrer Gründung im Jahr 2009 für frischen Wind sorgte, lässt Federn. Sie hatte ursprünglich dem politischen Establishment den Kampf angesagt, erstmals für mehr Ethik in der Politik plädiert und sich gegen den althergebrachten Politsumpf gestellt. Dies ist nun nicht mehr so. Grillo überraschte zu Jahresbeginn mit einem neuen Verhaltenskodex. Künftig sollen M5S-Parlamentarier, gegen die gerichtliche Ermittlungen laufen, nicht mehr automatisch von der Bewegung ausgeschlossen und zum Rücktritt gezwungen werden. Moralapostel Grillo beginnt Kompromisse zu schließen. Zweifellos wurde der neue Verhaltenskodex auf Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi zugeschnitten. Dies argwöhnt nicht nur die Regierungspartei PD, sondern auch Mitglieder der M5S-Bewegung. Gegen Raggi scheinen gerichtliche Ermittlungen im Gang zu sein wegen der Ernennung des Stadtrates. Mindestens die Hälfte der Stadträte ist inzwischen mehr oder weniger freiwillig ausgeschieden. Die Bürgermeisterin, seit einem halben Jahr im Amt, kommt mit ihrer angekündigten Aufräumarbeit in Rom nicht weiter. Im Gegenteil: Das Chaos nimmt zu. “Die Bewegung ist nicht mehr die, die sie einst zu sein versprach. Bei der Gründung von M5S ging es um Engagement, Debatten, Ideologien. Um Umweltschutz und Antiestablishment. Heute werden die Beschlüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefasst. Transparenz gibt es nicht mehr. Die M5S-Führung hat ihre Ideale vergessen”, sagte der Bürgermeister von Parma, Federico Pizzarotti, kürzlich der Börsen-Zeitung. Er hat inzwischen der Bewegung die kalte Schulter gezeigt. *Während Rom weiter im politischen Sumpf versinkt und aus Geldmangel das traditionelle Neujahrskonzert absagen musste, proben die Mailänder den Aufstand gegen den Terrorismus. Sie besuchen mehr denn je öffentliche Kulturstätten. “Die Mailänder reagieren mit ihrer Art auf den Terrorismus”, meinte Bürgermeister Giuseppe Sala. Nachdem Anis Amri, der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, an der Mailänder Peripherie erschossen wurde, wurden hier die Schutzmaßnahmen verstärkt. 2 000 mehr Polizisten sind im Einsatz, der Domplatz ist mit Barrikaden versperrt, Airports, Bahnhöfe, U-Bahn-Stationen sind hermetisch abgeriegelt. Das hindert die Mailänder nicht daran, in Massen zu öffentlichen Kulturveranstaltungen zu strömen. Noch nie hat der “musikalische Adventskalender” am Mailänder Domplatz, wo Weihnachtslieder live übertragen werden, einen derartigen Besuchererfolg gezeigt wie kurz nach dem Terrorangriff in Berlin. Über 100 000 Zuhörer wurden gezählt, wie der Veranstalter Ente del Turismo di Austria mitteilte. Ganz zu schweigen von Albrecht Dürers Bild “Anbetung der Könige”, das vorübergehend im Mailänder Diözesanmuseum zu sehen ist.