STEUERPOLITIK

Zweierlei Maß

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Einerseits geht er die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der Niedrig- und Negativzinsen hart an, andererseits gibt er die ihm aus der EZB-Politik entstehenden...

Zweierlei Maß

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Einerseits geht er die Europäische Zentralbank (EZB) wegen der Niedrig- und Negativzinsen hart an, andererseits gibt er die ihm aus der EZB-Politik entstehenden Zinsvorteile nicht weiter an jene, für die er sich so wortgewaltig einsetzt: die deutschen Steuerzahler, die von Niedrigzinsen gepeinigt ihre Altersvorsorge dahinschmelzen sehen. Zumindest auf dem Feld der Altersvorsorge müsste der Fiskus schnell handeln und den Bürgern steuerlich entgegenkommen, um den sich hier wegen der Niedrigzinsen zuspitzenden Konflikt zu entschärfen.Der nötige finanzielle Spielraum ist durchaus vorhanden. Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres hatte Schäuble einem Zeitungsbericht zufolge bei der Emission neuer Anleihen 1,5 Mrd. Euro an Negativzinsen “eingenommen”. Insgesamt verringerten sich die Zinsausgaben des Bundes in diesem Zeitraum um 27,3 %. Ob die Negativzinsen in dieser Größenordnung fortbestehen, ist zwar unsicher. Insofern ist Schäubles Zurückhaltung gegenüber Steuersenkungen durchaus verständlich. Sowohl die EZB als auch die Bundesregierung gehen aber davon aus, dass zumindest die Niedrigzinsphase noch länger anhalten wird. Die Zinslast insgesamt wird also weiter sinken. Zumindest diesen Vorteil sollte der Fiskus teilen.Noch unglaubwürdiger macht sich Schäubles indes durch seinen Umgang mit den heimischen Unternehmen. Bei Rückstellungen rechnet der Fiskus nach wie vor mit einem fiktiven Gewinn von 6 % auf diesbezügliche Geldanlagen. Dieses Niveau ist aber seit geraumer Zeit nicht mehr zu erzielen. Das belastet die Wirtschaft zunehmend, da sie wegen der Niedrigzinsphase etwa bei der betrieblichen Altersvorsorge gezwungen ist, noch mehr Kapital zurückzulegen, das dann höher besteuert wird als es an Zinsen abwirft. Die Unternehmen müssen nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft damit bis zu 25 Mrd. Euro zu viel zahlen.Würde der Fiskus einen realistischeren Rechnungszins ansetzen, könnte die Wirtschaft das Geld etwa für Investitionen verwenden, die künftiges Wachstum (und höhere Steuerzahlungen) sichern. Schon aus steuersystematischen Gründen wäre also eine Zinsanpassung vorzunehmen – vom Fairnessgebot, nicht mit zweierlei Maß zu messen, ganz zu schweigen. Wird Letzteres nämlich nicht beachtet, erzeugt das Unmut unter Steuerzahlern und es leidet die Steuerehrlichkeit, was Schäuble noch größere Probleme bereiten würde.