EU-Schuldenregeln

Zweiter Akt im Reformtheater

Christian Lindner findet Unterstützer. Bruno Le Maire gibt deutliche Widerworte. Und die EU-Kommission bleibt stoisch: Die Reform der Schuldenregeln zehrt an den Nerven.

Zweiter Akt im Reformtheater

Zweiter Akt im EU-Reformtheater

Kontroverse unter Mitgliedsstaaten über Reform der Schuldenregeln – Deutschland und Frankreich auf Konfrontationskurs

rec Luxemburg

Im Streit über geeignete Schuldenregeln zerfallen die EU-Staaten in zwei Lager: Bundesfinanzminister Christian Lindner findet bei Beratungen in Luxemburg mehrere Unterstützer. Sein französischer Kollege Bruno Le Maire gibt deutliche Widerworte. Die Suche nach einem Kompromiss dürfte zäh werden.

Die laufende Debatte über die Reform der europäischen Schuldenregeln hält Michael Hager für „politisches Theater“. Der Kabinettschef von Valdis Dombrovskis, dem zuständigen Vizechef der EU-Kommission, meint das nicht despektierlich. Hager versucht damit die Realität zu beschreiben – und das durchaus treffend.

Das verdeutlichen die Beratungen der EU-Finanzminister in Luxemburg. Dort setzten sich die versammelten Protagonisten am Freitag erstmals in großer Runde inhaltlich mit dem Brüsseler Reformvorschlag zum Stabilitäts- und Wachstumspakt auseinander. Der zweite Akt des Reformtheaters, um in Hagers Analogie zu bleiben, ist somit in vollem Gange.

Prolog: Ausweichklausel

In der Anfangsphase der Coronakrise hatte die EU-Kommission die im Pakt verankerte Ausweichklausel gezogen, um allen Regierungen genug Raum für Staatshilfen zu geben. Die Vorgaben zum Schuldenabbau und zur Begrenzung der Neuverschuldung sind seitdem ausgesetzt. Die EU-Staaten haben den Spielraum rege genutzt – mit dem Ergebnis, dass die Staatsschulden spürbar gestiegen sind.

Mit Ablauf dieses Jahres soll der fiskalpolitische Ausnahmezustand in der EU enden. Das ist Konsens. Doch zurück zum bisherigen Regelwerk will in Brüssel niemand, denn die Vorgaben haben sich als praxisuntauglich erwiesen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat zwar deutlich gemacht, dass kein rechtliches Vakuum droht, wenn die Ausweichklausel ausläuft: Dann griffen eben die alten Regeln wieder. Für die EU-Kommission ist das allerdings keine Option.

1. Akt: „Ideenpapier“

Die Brüsseler Behörde legte deshalb im Spätherbst 2022 erste Vorschläge vor. Damit gab die EU-Kommission zu verstehen, in welche Richtung es ihrer Meinung nach gehen sollte: Sie will die Pläne zum Schuldenabbau mit jedem Mitgliedstaat einzeln ausarbeiten, und zwar auf Sicht von bis zu sieben Jahren. Reformen und Investitionen sollten dabei eine größere Rolle spielen als bislang, jährliche Vorgaben zum Schuldenabbau entfallen.

Die Pläne für maßgeschneiderte Fiskalpläne stießen von Anfang an auf Kritik, insbesondere im FDP-geführten Finanzministerium. Von Skeptikern wurde die anfängliche Mitteilung der EU-Kommission als „Ideenpapier“ abgetan, nicht als ausgereifter Vorschlag für eine Reform. Im März rauften sich die Finanzminister zusammen, um der EU-Kommission zumindest Grundzüge ihrer Reformvorstellungen zu präsentieren.

2. Akt: Gesetzentwurf

Für die EU-Kommission hatte das eine unangenehme Folge: Sie musste sich mehr Zeit nehmen, um ihren Gesetzentwurf auszuarbeiten. Seit Ende April liegt dieser auf dem Tisch. Seitdem arbeiten sich die EU-Staaten an den Vorschlägen ab. Das dient in dieser Phase vor allem einem Ziel: Fronten klären und Lager bilden. Dabei geraten Deutschland und Frankreich aneinander.

Der Ecofin-Rat in Luxemburg hat Finanzminister Lindner gezeigt, dass er auf eine stattliche Zahl Verbündeter bauen kann. Einen von ihm initiierten Gastbeitrag in europäischen Zeitungen haben zehn Kollegen aus der zweiten und dritten Reihe unterschrieben. Sie wollen „klare und verständliche Regeln, die für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten“.

„Wir stehen in Mannschaftsstärke auf dem Platz“, philosophiert das Finanzministerium. „Elf gleichgesinnte Mitgliedstaaten spielen im Team Europa für stabile Finanzen“. Lindner besteht auf klar bezifferten Richtwerten, um die Staatsausgaben zu begrenzen und Jahr für Jahr die Schulden abzuschmelzen – um wenigstens 1% der Wirtschaftsleistung. Das sei „eine Frage der Glaubwürdigkeit gegenüber den Kapitalmärkten“.

Im anderen Lager pochen Frankreich, Italien und Spanien und einig andere hoch verschuldete EU-Staaten auf ein flexibleres Regelwerk. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire stellte am Freitag klar, dass er vehement gegen jeglichen Automatismus beim Schuldenabbau ist. Das habe in der Vergangenheit nicht funktioniert. Es sei nichts schlimmer, als auf alte Regeln zurückzufallen, die überholt sind. Auch in der EU-Kommission hält man wenig von „magischen Zahlen“, die sich als realitätsfern erwiesen hätten.

3. Akt: Kompromisssuche

Von einer inhaltlichen Annäherung, geschweige denn einem Kompromiss sind beide Lager noch weit entfernt. Die Suche danach dürfte somit zäh werden und erst nach der Sommerpause so richtig in Gang kommen. Eine kritische Wegmarke könnten deshalb die informellen Beratungen der Finanzminister in Spanien Mitte September sein.

EU-Kommissionsvize Dombrovskis stellte am Freitag heraus, für wie wichtig er eine rechtzeitige Einigung hält. Die Ausweichklausel werde unwiderruflich enden, und vor dem Hintergrund stark gestiegener Zinsen müssten die Staatsfinanzen unter Kontrolle bleiben. Ob das Theaterstück Schuldenreform eine Wendung zum Positiven nimmt oder doch eher zur Tragödie taugt, wird sich im zweiten Halbjahr zeigen.

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