Zwiespältiges Echo auf Stillhalten der Fed

Ökonomen, Politik und Institutionen zur Beibehaltung der aktuellen Niedrigzinsen in den USA

Zwiespältiges Echo auf Stillhalten der Fed

Die vertagte Zinswende in den USA hat unter Ökonomen ein zwiespältiges Echo ausgelöst. Die einen werfen der Notenbankchefin Janet Yellen vor, sich zu sehr nach den Wünschen der Marktteilnehmer zu richten, teilweise absurd theatralischen Szenarien aufgesessen zu sein, die gleich eine neue Finanzkrise heraufbeschworen haben. Die Glaubwürdigkeit der Notenbank habe gelitten. Andere lobten gerade die Zurückhaltung der Fed, weil die US-Konjunktur eben noch nicht so stabil läuft, wie das manche Wirtschaftsdaten suggerieren und die Schwellenländer schon wegen China unter Druck stünden und mit einer US-Zinserhöhung nicht auch noch hätten umgehen können. DeutschlandIn Deutschland zeigen sich die Ökonomen vorwiegend kritisch. David Folkerts-Landau, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, bedauerte die Nichtentscheidung der Fed. Jetzt einen Normalisierungsprozess einzuleiten, wäre absolut angemessen “und ehrlich gesagt schon lange überfällig gewesen”. Mit dem Zuwarten und dem weiterbestehenden Signal einer Zinserhöhung bleibe die Fed selbst Quelle der Marktvolatilität, meint Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz. “Es wäre an der Zeit gewesen, moderat in eine Erhöhung einzusteigen”, sagt auch der Wirtschaftsweise Volker Wieland vom Frankfurter House of Finance. Yellen trage mit ihrer Kommunikation zur Verunsicherung der Märkte bei. Die Entscheidung verdeutliche, so Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, dass ein Ausstieg aus der Nullzinswelt sehr mühsam sei und sehr lange dauern werde. Otmar Lang, Chefvolkswirt der Targobank sieht die Fed “gefangen in der Zinsstarre”. GroßbritannienAuch in Großbritannien könnte angesichts einer schwächeren Konjunktur eine Zinsanhebung zunächst ausbleiben. Vielmehr könnte der Leitzins demnächst sogar eher noch gesenkt werden, sagte der Chefvolkswirt der britischen Notenbank, Andy Haldane, am Freitag in London. Der Wind habe sich gedreht und die Waage sei nun deutlich mehr auf Seite der Risiken – mit wenig Aussicht auf schnelle Besserung. So sehe es derzeit danach aus, als ob sich das Wachstum der britischen Wirtschaft im zweiten Halbjahr abschwäche und die Teuerung nicht wie gewünscht anziehe. Träten die Abwärtsrisiken tatsächlich ein, könne daher eine Lockerung der Geldpolitik eher erforderlich sein als eine Straffung, so Haldane. USADie Reaktionen führender US-Ökonomen auf die Entscheidung der Notenbank fielen gemischt aus. Eine leichte Mehrheit scheint aber die Auffassung zu vertreten, dass die Fed eine Chance ausgelassen hat. “Dies wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, um wieder an der Geldschraube zu drehen”, sagte Dino Kos, ehemalige Executive Vice Preisident der Federal Reserve Bank von New York. Er rechnet nun frühestens 2016 mit der ersten Anhebung des Leitzinses seit über 9 Jahren. Ähnlich sieht es Jeffrey Lacker, Vorsitzender der Federal Reserve Bank of Richmond, der als einziges Mitglied des Offenmarktausschusses für einen Zinsschritt stimmte: “Die US-Wirtschaft braucht keinen Nullzins mehr.” Es sei “Zeit, dass unsere Geldpolitik wieder in Einklang gebracht wird mit der wirtschaftlichen Entwicklung”.Einverstanden mit der Zurückhaltung der Währungshüter ist hingegen der Nationalökonom Scott Sumner von der George-Mason-Universität. “Man sollte die Bedeutung einer geringfügigen monetären Straffung nicht unterschätzen”, sagt er und verweist auf die weiter niedrige Erwerbsquote sowie die außerordentlich geringe Inflation. “Hat der Vorgang einmal begonnen, wird damit nicht selten eine Lawine losgetreten, deren Wirkung zunächst unterschätzt wird”, warnt er. JapanIn Japan fielen die Reaktionen ebenfalls gemischt aus. Finanzminister Taro Aso meinte, die Fed habe auf Sorgen der Schwellenländer beim G 20-Gipfeltreffen reagiert, höhere US-Zinsen und der damit verbundene Kapitalabfluss könnten ihre Volkswirtschaften beschädigen. Dies würde wiederum Japan treffen, weil rund die Hälfte seiner Exporte nach Asien gehen. Der Chef der staatlichen Japan-Bank für internationale Zusammenarbeit, Hiroshi Watanabe, begrüßte den Fed-Beschluss. Weder die US-Wirtschaft noch die Inflation würden höhere Zinsen rechtfertigen. Am Finanzmarkt in Tokio wächst die Sorge, dass die Zeit des schwachen Yen zu Ende gehen könnte. Der frühere Finanzstaatssekretär Eisuke Sakakibara, in Japan als “Mr. Yen” tituliert, rechnet mit einer Aufwertung der Devise um etwa 4 % auf 115 Yen/Dollar. An der Börse fielen die Kurse. Zugleich stiegen die Renditen der Staatsanleihen auf den höchsten Stand seit mehr als vier Monaten. Notenbank-Gouverneur Haruhiko Kuroda setzte bisher vor allem auf den schwachen Yen, um sein Inflationsziel von 2 % zu erreichen. ChinaAn Chinas Finanzmärkten ist die Entscheidung der Fed mit Erleichterung aufgenommen worden. Der Verzicht auf eine Zinserhöhung der US-Zentralbank erleichtert die Aufgabe der Zentralbank, einem stärkeren Abwertungsdruck des Yuan gegenüber dem Dollar entgegenzuwirken und dämpft die Sorgen, dass eine neu angekurbelte Dollarhausse und eine Renditeanhebung für US-Anlagetitel einen verstärkten Kapitalabzug aus China bewirken. Der chinesische Finanzstaatssekretär Shi Yaobin äußerte die Einschätzung, dass die führenden westlichen Industrieländer die Folgen einer geänderten Geldpolitik auf andere Staaten grundsätzlich stärker beachten sollten. Gleichzeitig führte er die Entscheidung der US-Notenbank auch darauf zurück, dass der Aufschwung in den USA noch nicht stabil genug sei, um eine Zinsanhebung verkraften zu können.Damit deutet sich im unmittelbaren Vorfeld eines Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in den USA ein vorsichtiger Umgang mit der Thematik ab. Einerseits verschafft es Peking einige Genugtuung, dass eine Zinsentscheidung der Fed erstmals explizit auch mit Blick auf ihre Auswirkungen auf China erfolgt ist. Andererseits möchte man in Peking aber auch den Eindruck verhindern, dass sich China im Zuge der laufenden Wirtschaftsabkühlung und Turbulenzen an den Aktienmärkten in einer geschwächten Verfassung befindet, die eine explizite Rücksichtnahme der USA erfordert. Auch will China nicht in einem Topf mit anderen Schwellenländern geworfen werden, die von einer Zinswende in den USA stark destabilisierende Auswirkungen auf ihre heimische Wirtschaftsverfassung befürchten müssen.Noch am Donnerstag als im Vorfeld der Fed-Entscheidung hatte die der Zentralbank angegliederte State Administration of Foreign Exchange (Safe) wissen lassen, dass die chinesische Währung Yuan nach einer die Finanzmärkte beunruhigenden Abwertungsrunde im August mittlerweile auf einem stabilen Pfad zum Dollar stehe und kein weiterer marktgetriebener Abwertungsdruck zu erwarten sei. BrasilienBrasilien reagierte allenfalls verhalten auf die Zinsentscheidung der US-Notenbank. Die kurzfristige Erleichterung wurde vom Gewicht der politischen und fiskalischen Probleme erdrückt. Der Real setzte trotz des Winks aus Washington seine Talfahrt fort und schloss am Donnerstag auf 3,88 zum Dollar, dem tiefsten Stand seit 2002. Aber auch zum Euro ließ die Währung nach und schloss bei 4,44 zum Euro.Grund für die Skepsis ist das zuletzt wieder gestiegene Risiko einer Amtsenthebung der Präsidentin und eine drohende neue Niederlage der Sparpläne im Kongress. Kommende Woche könnten die Abgeordneten die Gehälter für Finanzbeamte erhöhen, die direkten Untergebenen des Finanzministers. Weil die meisten brasilianischen Entscheider damit rechnen, dass die Fed die Zinsen in diesem Jahr doch noch erhöht, ist das Thema bestenfalls vertagt. “Das Problem ist, dass die Fed in ihrem Communiqué die Unsicherheit nicht beseitigt hat”, sagt Renato Nobile, CEO der Bullmark Financial Group. Er rechnet damit, dass der Real demnächst unter die 4-Dollar-Marke rutscht und der Kurs weiter verfällt.An den Börsen ging es nach der Fed-Nachricht hoch und runter, am Ende stand ein Plus von 1,74 %, das als “spekulatives Spektakel” gewertet wurde, ohne Fundament in der realen Wirtschaft. Dort sind alle Aussichten weiter düster. Der Thinktank Fundaçao Getúlio Vargas rechnet mit einer Vertiefung der Rezession auf – 2 % im Jahr 2016. Die Inflation werde bei 6,8 % liegen.—-Beiträge von Stephan Lorz, Frankfurt, Peter de Thier, Washington, Martin Fritz, Tokio, Norbert Hellmann, Schanghai, Andreas Fink, Buenos Aires sowie Reuters.