20 JAHRE EURO

Zwischen Einheitssymbol und Spaltpilz

Gemischte Bilanz nach zwei Jahrzehnten Euro: Preisstabilität erreicht, Wachstumsschub umstritten - Streit ums Geld und Reformen

Zwischen Einheitssymbol und Spaltpilz

20 Jahre nach seiner Einführung ist der Euro die am zweithäufigsten genutzte Währung der Welt. Den Euro-Architekten und -Befürwortern gilt er als große Erfolgsgeschichte. Es scheinen sich aber zumindest nicht alle Hoffnungen von einst erfüllt zu haben. Nun geht es für die Politik darum, die Zukunft des Euro zu gestalten.Von Mark Schrörs, FrankfurtFür EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist die Sache ganz klar: Der Euro, der jetzt seinen 20. Geburtstag feiert, ist politisch und wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. “Der Euro ist zu einem Symbol der Einheit, der Souveränität und der Stabilität geworden”, sagt Juncker. Der Euro habe den Bürgern “Wohlstand und Schutz gebracht”.Wie aber sieht die Bilanz des Euro, der zum 1. Januar 1999 zunächst als Buchgeld eingeführt wurde und der heute die Währung von 340 Millionen Europäern ist, tatsächlich aus? Welche Versprechen wurden gehalten und welche nicht? Und welche Hoffnungen haben sich erfüllt – und welche wurden enttäuscht?Eines der zentralen, wenn nicht gar das zentrale Versprechen vor allem für die Deutschen war, dass der Euro “so hart wie die D-Mark” sein werde. Gemeint war damit insbesondere die Geldwertstabilität. Tatsächlich lag die durchschnittliche Inflationsrate im Euroraum in den vergangenen knapp 20 Jahren bei rund 1,7 % und damit im Bereich des Zielwerts der Europäischen Zentralbank (EZB) von unter, aber nahe 2 % – während sie in den knapp 50 Jahren der D-Mark bei rund 2,8 % lag. Während der Außenwert des Euro mitunter kräftig schwankte (siehe Grafik), wurde das Versprechen innerer Stabilität also durchaus erfüllt.Weniger eindeutig fällt hingegen die wirtschaftliche Bilanz aus. Unstrittig ist, dass die gemeinsame Währung, zumal mit dem gemeinsamen Binnenmarkt, viele Vorteile verspricht: keine oder weniger Wechselkursunsicherheit, niedrigere Transaktionskosten, transparentere Märkte, weniger Handelsbarrieren. Inwieweit sich das aber in dem versprochenen oder erhofften Wachstumsschub manifestiert hat, ist umstritten.Die Euro-Optimisten verweisen insbesondere auf die positive Entwicklung der Euro-Wirtschaft vor Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008. Anfang 2009, zum 10. Jahrestag der Euro-Einführung, listeten EZB-Granden wie der damalige Präsident Jean-Claude Trichet oder der damalige Chefvolkswirt Jürgen Stark die Errungenschaften auf: So seien etwa in den ersten knapp zehn Euro-Jahren dank verbesserter Finanzierungs- und Kreditbedingungen die realen Bruttoanlageinvestitionen jährlich um rund 3 % gewachsen und damit stärker als in den USA; zwischen 1999 und 2009 seien zudem mehr als 16 Millionen neue Jobs geschaffen worden und damit doppelt so viele wie in den zehn Jahren davor; und der Euro habe zur Vertiefung der Handelsbeziehungen geführt, nicht nur zwischen den Euro-Ländern, sondern auch mit Ländern außerhalb der Eurozone.Die Euro-Skeptiker dagegen argumentieren, dass die Gemeinschaftswährung keinen Wachstumsschub ausgelöst und die Angleichung der Pro-Kopf-Einkommen der Mitgliedsländer nicht befördert habe. In den Jahren 2000 bis 2009 lag das jährliche Wirtschaftswachstum im Euroraum bei rund 1,4 % – gegenüber zum Beispiel 1,9 % in den USA. US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz macht eine eurokritische Rechnung auf: Im Jahr 2000 sei die US-Wirtschaft nur um 13 % größer als jene der Eurozone gewesen. Im Jahr 2016 seien es bereits 26 % gewesen. Großes Schiff statt Mini-BootZur ganzen Wahrheit gehört schließlich, dass der Euro zwei sehr unterschiedliche Jahrzehnte erlebt hat – was sich auch in den divergierenden Bilanzen ausdrückt: Die erste Dekade war trotz anfänglicher Sorgen um die Euro-Schwäche relativ ruhig – geprägt von der auslaufenden “great moderation”, einer Phase weltweit geringer makroökonomischer Volatilität. Die Weltfinanzkrise ließ dann zwar auch die Euro-Wirtschaft einbrechen. 2009, zum 10. Geburtstag, galt der Euro aber dennoch eher als Gewinner der Krise. Er habe sich als eine Art Schutzschild für die Euro-Länder erwiesen, hieß es. Ohne den Euro hätten zusätzlich auch noch starke, erratische Währungsschwankungen zwischen den Euro-Ländern gedroht – vergleichbar mit der Krise im Europäischen Währungssystem in den Jahren 1992 und 1993. “In stürmischer See ist es besser, auf einem großen Schiff zu sein als in einem kleinen Boot”, sagte Trichet zu der Zeit gerne. Der Euro also als verbindendes Element.Das zweite Jahrzehnt dagegen war und ist geprägt von der Euro-Schuldenkrise – ausgehend von Griechenland. Letztlich schien zeitweise sogar die Existenz der Währungsunion als Ganzes auf dem Spiel zu stehen. In der Zeit rächte sich auch, dass den Ungleichgewichten, die sich vor 2007 aufgebaut hatten, zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden war – und dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt zum Schutz gegen übermäßiges Schuldenmachen nicht zuletzt von Deutschland ausgehöhlt worden war. Die Krise und der Streit ums Geld führten auch zu viel Streit zwischen den Euro-Ländern. “Im Moment wirkt der Euro eher als Spaltpilz”, sagte Ex-EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing im Frühjahr 2016 im Interview der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 24.3.2016).Das wirkt bis heute nach – in der Debatte über die Reform der Währungsunion: Während die einen, allen voran Frankreich, eine Vertiefung der Währungsunion und mehr Solidarität fordern, warnen andere wie Deutschland vor übereilten Schritten und vor einer Transfer- und Haftungsunion. Welchen Weg die Euro-Politik einschlagen wird, dürfte auch wesentlich mitentscheiden darüber, ob sich am Ende eine alte, aber bislang nicht realisierte Hoffnung erfüllt: den Euro zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Weltleitwährung Dollar zu machen.