Zwist über Schuldenbremse

Auch die Wissenschaft ist uneins über die Finanzierung von Investitionen

Zwist über Schuldenbremse

wf Berlin – Die Schuldenbremse spaltet nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. Dies wurde am Montag im Haushaltsausschuss des Bundestags deutlich, der Ökonomen zu einer möglichen Aufweichung des im Grundgesetz verankerten Limits für die staatliche Neuverschuldung öffentlich anhörte. Für die Fraktionen der Linken und der Grünen steht die Schuldenbremse nötigen Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz im Wege. Sie fordern deshalb in verschiedenen Anträgen für den Bundestag, die Bremse durch eine gelockerte Neuregelung zu ersetzen. Die FDP spricht sich in einem eigenen Antrag indessen gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse aus, aber gleichwohl für zielgerichtete Investitionen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, “keine zusätzlichen konsumtiven Ausgaben anzustoßen”.Im Bundesfinanzministerium arbeitet nach Informationen des “Handelsblatts”, das keine Quellen nennt, Chefvolkswirt Jakob von Weizsäcker an einem Konzept, um die Schuldenbremse zu umschiffen. Dies soll die Auflage eines milliardenschweren Investitionsprogramms ermöglichen. Das “Handelsblatt” spekulierte, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wolle damit seine Aussicht verbessern, als Kanzlerkandidat der SPD zu reüssieren. Die neue SPD-Parteiführung hat Infrastrukturinvestitionen groß auf ihre Fahne geschrieben. Steuererhöhung im Visier “Investitionen können auch dann gut sein, wenn sie nicht durch Verschuldung finanziert werden”, fuhr Thiess Büttner in der Anhörung denjenigen in die Parade, die öffentliche Investitionen zwingend mit mehr Verschuldung in Verbindung bringen. Büttner lehrt in Erlangen-Nürnberg Finanzwissenschaft und ist seit 2015 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. 2019 lag der gesamtstaatliche Überschuss in Deutschland bei rund 50 Mrd. Euro.Peter Bofinger von der Universität Würzburg sprach sich für ein zehnjähriges, kreditfinanziertes Zukunftsprogramm aus und für eine Regel, die eine Neuverschuldungsquote von 1 % bis 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zulässt, sofern der Schuldenstand 60 % des BIP nicht überschreite. Derzeit erlaubt die Schuldenbremse nur dem Bund ein konjunkturbereinigtes Defizit von 0,35 % des BIP. Dies entspricht derzeit etwas mehr als 10 Mrd. Euro.Tom Krebs von der Universität Mannheim hält in den kommenden zehn Jahren öffentliche Investitionen von 300 Mrd. Euro für erforderlich – teils für Ersatzinvestitionen, teils für zukunftsgerichtete Ausgaben wie Bildung. Die jährlichen Investitionen des Bundes liegen aktuell bei rund 40 Mrd. Euro. Krebs, der im Bundesfinanzministerium von Weizsäcker derzeit beratend zur Seite steht, riet zudem zu Steuererhöhungen auf Erbschaften und Vermögen. Für den Bundesrechnungshof sprach sich Dirk Hugo strikt gegen eine Lockerung der Schuldenbremse aus. Auch eine Lösung für die Altschulden der Kommunen sei nicht Sache des Bundes, sondern der Länder, mahnte Hugo. Scholz hatte angeboten, Teile davon zu schultern. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland wertete die Schuldenbremse und die schwarze Null als Grund für die Abkehr von der Schuldenpolitik. Die Konjunkturbereinigung lasse genügend Spielraum für Ausnahmen in einer tiefen Rezession.