Notiert inNew York

50 Jahre Hip-Hop: Kulturphänomen und Milliardenindustrie

Vor 50 Jahren ist Hip-Hop als Mittel entstanden, um dem von Armut und Kriminalität geprägten Alltag in der Bronx zu entfliehen. Heute bildet das Musikgenre eine Milliardenindustrie.

50 Jahre Hip-Hop: Kulturphänomen und Milliardenindustrie

Notiert in New York

Of Mics and Men

Von Alex Wehnert

Die 125. Straße ist auf Höhe des Apollo Theater im Herzen Harlems abgesperrt, auf dem Abschnitt zwischen Adam Clayton Powell und Frederick Douglass Boulevard hat sich eine Menschenmasse gebildet. Arme wippen in der Sommerabendluft zu den Beats der DJs, die ihre Pulte auf einer großen Bühne an der nächsten Kreuzung aufgebaut haben. Dann halten die Jungle Brothers Einzug und heizen der Menge ein – das Hip-Hop-Kollektiv gilt als Wegbereiter kommerziell erfolgreicherer Gruppen wie A Tribe Called Quest.

Der Auftritt in Harlem am vergangenen Sonntag ist Teil der Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag des Hip-Hop, die derzeit in ganz New York City stattfinden. In den 1970er Jahren von karibischen Immigranten und schwarzen Amerikanern in der Bronx als Möglichkeit erfunden, dem von Armut und Kriminalität geprägten Alltag zu entfliehen, hat die Musikrichtung nicht nur die englische Sprache umgewälzt. Hip-Hop ist darüber hinaus zur einer Milliarden-Dollar-Industrie herangewachsen.

Laut dem Marktforscher Nielsen stellt das Genre in den USA seit Jahren den populärsten Musikstil dar. Analysten schätzen, dass Hip-Hop global Erlöse von 15,7 Mrd. Dollar per annum erwirtschaftet. Die Größen der Branche machen längst als Geschäftsleute und Investoren von sich reden. So verfügen die fünf reichsten Hip-Hop-Künstler laut dem US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" zusammengenommen über ein Vermögen von mehr als 4 Mrd. Dollar.

An der Spitze der genreinternen Rangliste steht der als "Jay-Z" bekannte Shawn Carter. Ihm gehören nicht nur hochpreisige Immobilien in New York und Los Angeles sowie eine Kunstsammlung und ein wertvoller Musikkatalog. Er stieg auch früh bei Firmen wie Uber ein. Im Jahr 2013 steckte er 2 Mill. Dollar in den Fahrdienst, heute ist sein Anteil angeblich 70 Mill. Dollar wert.

Analysten sehen die Anlageerfolge von Jay-Z und Kollegen als selbst erfüllende Prophezeiung. Denn wenn die Stars in ein Unternehmen investierten, lenkten sie große Aufmerksamkeit auf dieses und zögen damit weitere Geldgeber an. Jay-Z zeigt sich wiederholt als geschickter Quervermarkter. Die Goldflaschen der Champagnermarke Armand de Brignac platziert der Rapper gern prominent in seinen Musikvideos. Ihm gehören 50% an der Schaumweinfirma, der Gegenwert seiner Anteile wird auf 310 Mill. Dollar geschätzt.

Zudem sind Hip-Hop-Stars heute gefragte Werbefiguren für Modemarken. Das war allerdings nicht immer so: Noch in den 1980er und frühen 1990er Jahren schreckten viele Unternehmen vor Kooperationen mit den Künstlern zurück, weil sie fürchteten, durch das teils kontroverse Auftreten der Rapper ihre Marke zu beschädigen. Diese Einschätzung änderte sich schrittweise, nachdem die Gruppe Run-DMC 1986 ihren Hit "My Adidas" veröffentlichte. Eine Show im New Yorker Madison Square Garden, während der tausende Fans ihre Sportschuhe in der Luft schwenkten, soll die Herzogenauracher von einem Werbedeal mit dem Rap-Trio überzeugt haben.

"From Moving Crack Rocks To Moving Mountains", also vom Drogenhandel zum Bergeversetzen, so beschreibt RZA, Gründer des Kollektivs Wu-Tang Clan, den Werdegang vieler Genrevertreter auf dem Track "Of Mics and Men". Der Titel stellt eine Anspielung auf den prägenden American-Dream-Roman John Steinbecks dar und bedeutet "Von Mikrofonen und Menschen". Neben Gruppen wie dem Wu-Tang Clan, Duos wie Eric B. & Rakim und männlichen Individualisten wie Nas haben auch Frauen den Hip-Hop geformt. Vor dem Apollo Theater kocht die Stimmung am Sonntag besonders hoch, als die DJs Eves Hit "Who's That Girl?" spielen.

Bei der Blockparty zeigt sich auch das verbindende Element von Hip-Hop: Alteingesessene Fans aus Harlem feiern neben Besuchern aus Kalifornien und schwäbischen Touristen, deren lyrischer Fokus sonst eher auf den Gedichten Hermann Hesses liegt. Gerade den ökonomisch orientierten Vertretern aus dem Ländle dürfte die Wirtschaftskraft der Hip-Hop-Industrie imponieren.

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