Notiert in Frankfurt

A5, A66, A648, A661

Knapp zwei Drittel aller Beschäftigten in Frankfurt reisen morgens aus dem Umland an. Wer regelmäßig Radio hört, für den sind die 5, die 66, die 648 oder die 661 wie Bingo-Treffer in der morgendlichen Stau-Lotterie. Und für manchen Zugereisten sind Kaiserlei oder Riederwald schon bald vertrautere Ortsnamen als Römer oder Paulskirche.

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Notiert in Frankfurt

A5, A66, A648, A661

Von Detlef Fechtner

Eine der berühmtesten Wanderlegenden hierzulande behauptet, der Valentinstag gehe nicht auf kirchliches Brauchtum zurück, sondern sei eine Erfindung des Floristenverbands. Es würde nicht wundern, wenn demnächst eine andere Legende die Runde machen würde: Nämlich dass die J..P Morgan Corporate Challenge keine Initiative der US-Großbank sei, sondern eine geschickte Marketinginitiative des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie. Immerhin werden extra für den Stadtlauf unfassbare Mengen von T-Shirts produziert.

Mehr als 50.000 Läufer haben sich vor wenigen Tagen an der jüngsten Auflage des Rennens quer durch die Stadt beteiligt. Viele von ihnen hatten beim Lauf ein Shirt mit dem Logo ihres Arbeitgebers an und im Ziel ein zweites, nämlich ein „Finisher“-T-Shirt. Zusätzlich haben sich viele Zuschauer ebenfalls in Textilien in den Farben des unternehmenseigenen Teams gehüllt und „ihre“ Läufer angefeuert.

Sie in der großen Menge zu entdecken, war übrigens gar nicht so einfach. Einige Corporate-Challenge-erfahrene Mannschaften haben sich nicht zuletzt aus diesem Grund für besonders auffällige Farben entschieden. Ein Tipp unter Freunden: Man muss ja nicht unbedingt Giftgrün oder schreiend Lila wählen, aber Dunkelblau ist definitiv keine gute Idee, wenn man von den Kollegen, die die Strecke säumen, schnell erkannt werden möchte.

Die „Challenge“ erstreckt sich im Übrigen schon lange nicht mehr nur darauf, eine Distanz von 5,6 Kilometer zu absolvieren. Längst hat sich neben der Laufstrecke ein gastronomischer Wettbewerb entwickelt: Welches Unternehmen schafft es, die pfiffigste Lounge für die flankierenden Houspartys mit den eigenen Mitarbeitern aufzubauen?

Der in seinen Dimensionen beeindruckende Stadtlauf zeigt nicht nur anschaulich, dass die Zeiten des in der Pandemie eingeübten Social Distancing der Vergangenheit angehören. Er erinnert zugleich daran, wie unglaublich viele Menschen in Frankfurt arbeiten. 615.769 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zählte die Bundesagentur für Arbeit im Sommer 2022, was den Ruf Frankfurts als „Pendlerhauptstadt“ begründet. Zwar machen sich arbeitstäglich in München noch mehr Menschen aus dem Umland auf den Weg in die Stadt, dafür hat die bayerische Hauptstadt aber auch wesentlich mehr Einwohner als Frankfurt.

Fast zwei von drei Beschäftigten in Frankfurt reisen morgens von jenseits der Stadtgrenzen an – vor allem aus dem Landkreis Offenbach, aus Main-Taunus und Mai-Kinzig, aus der Wetterau und aus dem Hochtaunus. Wer regelmäßig Radio hört, für den zählen die 5, die 66, die 648 oder die 661 zu den vertrautesten Zahlen, sind sie doch die Bingo-Treffer in der morgendlichen Stau-Lotterie. Und manchem Zugereisten sind nach wenigen Monaten Kaiserlei oder Riederwald vertrautere Ortsnamen als Römer oder Paulskirche. Dabei belegt Frankfurt im Verkehrsindex des Navigationsherstellers TomTom, der die Verlangsamung des städtischen Verkehrs durch Staus misst, noch nicht einmal einen Spitzenplatz.

Gerade unter den Einpendlern aus dem Hochtaunuskreis gibt es wiederum einige, für die die Frage, ob sie im Stau stehen oder nicht, nicht entscheidend sein dürfte, da sie chauffiert werden und den Rücksitz problemlos in ein mobiles Büro umfunktionieren können. Manchmal im Leben sind aber sogar die Nutzer von Limousinen vor Herausforderungen gestellt. Das war neulich bei der 25-Jahr-Feier der Europäischen Zentralbank zu begutachten. Denn bei der Geburtstagssause war so viel Prominenz versammelt, dass anschließend nicht die Chauffeure von zwei oder drei Limousinen auf ihre Fahrgäste warteten, sondern sich auf dem Parkplatz mehr als 40 S-Klassen eng nebeneinander drängten. Und da sah man manchen irritierten Minister oder Notenbanker, der sich arg schwertat, sein Gefährt ausfindig zu machen. Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass sie sich darüber geärgert haben, dass ihre Karossen abgedunkelt sind.

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