LEITARTIKEL

Abgekoppelt

Der Schienenpersonenverkehr ist öffentliche Daseinsvorsorge - nicht anders als Schulen, die Trinkwasserversorgung oder Schwimmbäder. Entsprechend ist das zeitweise Abkoppeln des Mainzer Hauptbahnhofs nicht nur peinlich für die Deutsche Bahn und...

Abgekoppelt

Der Schienenpersonenverkehr ist öffentliche Daseinsvorsorge – nicht anders als Schulen, die Trinkwasserversorgung oder Schwimmbäder. Entsprechend ist das zeitweise Abkoppeln des Mainzer Hauptbahnhofs nicht nur peinlich für die Deutsche Bahn und international blamabel, sondern schlicht nicht akzeptabel. Trinkwasser hat ja auch aus der Leitung zu kommen, jederzeit, sauber und erfrischend. Bliebe es aus, müsste sich die Politik verantworten, egal ob nun Wahlkampf ist oder nicht. Nicht anders bei der Deutschen Bahn AG. Der Konzern gehört dem Bund, zu 100 %. Entsprechend sind Bundesministerien und Parlamentarier im Aufsichtsrat präsent – nicht zu vergessen die große Schar von Arbeitnehmervertretern, die doch wohl nicht erst jetzt vor der inzwischen in die Millionen gehenden Zahl von Überstunden gewarnt haben. Sage keiner, es habe niemand gewusst, was da landauf, landab passiert. Wenn jetzt die Opposition die Regierung der Untätigkeit bezichtigt und klagt, es sei in den vergangenen Jahren zu viel und falsch gespart worden, ist das genauso verlogen wie die Replik von Verkehrsminister Peter Ramsauer, die schwarz-gelbe Bundesregierung habe die Scherben aufkehren müssen, die die SPD-Vorgänger Peer Steinbrück als Finanz- und Wolfgang Tiefensee als Verkehrsminister mit ihren Börsenplänen hinterlassen hätten, für die das Personal “sträflich heruntergefahren” worden sei.Tatsächlich wurden hunderttausende von Stellen eingespart seit der Bahnreform 1994, die aus der trägen Beamtenbahn, bei der die Personalkosten höher lagen als der Umsatz, ein Wirtschaftsunternehmen schuf. Bei dem Reisende keine Beförderungsfälle mehr sind, mit schnellen, modernen und sauberen Zügen, in denen nicht mehr wie damals nur die “A”s unterwegs sind, die Armen, Azubis, Ausländer und Alten. Das hat – zweifelsohne – geklappt. Und das Verschlanken der Behördenbahn war eine Voraussetzung dafür. Diese Politik hatte die Zustimmung des Bundes, in welcher farblichen Koalition auch immer. Schließlich will Berlin eine Dividende von gut einer halben Mrd. Euro und wollte einen Börsengang der Transportsparte, den nur die Lehman-Pleite vereitelte. Doch das Geheimnis erfolgreicher Unternehmensführung ist immer, das richtige Maß zu finden. Wann wird die Personaldecke zu dünn, um noch gute Arbeit leisten zu können? Wann schlägt Motivation in Demotivation um, weil die Belastung zu viel wird? Fragen, die vielen Firmen auf den Nägeln brennen und mit jeder Rationalisierungsrunde dringender einer Antwort bedürfen. Deutlich verschärft wird die Lage inzwischen durch die demografische Entwicklung. Mit dem Altern der Belegschaft steigt der Krankenstand. Qualifizierte Jüngere sind nicht mehr so leicht zu finden. So gesehen war es vielleicht schon zu spät, als die Bahn vor inzwischen anderthalb Jahren eine Personaloffensive startete, um das erhoffte Wachstum überhaupt darstellen zu können – statt am Mainzer Hauptbahnhof und an vielen anderen Haltestellen ausgebremst zu werden. Zugleich wurde mit der großen, und jetzt so kritischen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft ein Demografie-Tarifvertrag abgeschlossen – wie viele andere Konzerne können da mithalten? Das Problem brennt, wie bei den Fahrdienstleitern zu besichtigen -, und es wäre zu kurz gesprungen, es mit fehlerhafter Dienstplangestaltung kleinzureden.Aber auch die Politik muss sagen, wohin die Reise gehen soll. Dabei ist die immer wieder aufploppende Diskussion über einen Börsengang der Transportsparte Mobility Logistics, also der Personenverkehrs-, Fracht- und Logistikaktivitäten der Bahn, für das aktuelle Problem des teilweise stillstehenden Stellwerks uninteressant, da dieses zur staatlichen Infrastrukturholding gehört, die laut Grundgesetz ohnehin komplett in Bundesbesitz bleiben muss. Zu klären ist jedoch, ob das Gleisnetz samt Bahnhöfen und Stellwerken von der restlichen Bahn abgetrennt wird – was die Bahn vehement bekämpft, die EU-Kommission aber will, um jegliche Diskriminierung von Wettbewerbern von vornherein auszuschließen. Die Bahn erzielt mit keinem anderen Geschäft einen so hohen Gewinn wie mit dem Netz – das aber für die Hälfte aller Sachanlagen im Konzern steht und für zwei Drittel aller Nettoschulden. Das Roce (Return on Capital Employed) liegt mit gut 4 % weit unter der durch die Netzagentur erlaubten Spanne. Wirklich lukrativ ist das Netz folglich nicht. Dafür seit Jahren unterkapitalisiert. Wie bei den Straßen investiert der Bund bei der Bahn viel zu wenig in die Infrastruktur – europaweit belegt Deutschland einen der hintersten Plätze, verlangt aber Dividende wie kaum ein anderes Land. Wenn nun beklagt wird, dass zu wenige Stellwerke modernisiert werden, ist (auch) Berlin gefordert – wegducken gilt nicht mehr.——–Von Ulli GerickeBerlin will zwar eine möglichst hohe Dividende von der Bahn, verweigert aber ausreichende Gelder für die Infrastruktur – wie etwa für modernisierte Stellwerke.——-