Absturz mit Ansage
Seit dem Bilanzskandal um Enron zu Beginn des Jahrtausends sollen der Sarbanes-Oxley Act und andere Gesetze die US-Investoren mit mehr Transparenz und härteren Strafen vor vergleichbaren Betrügereien schützen. Für alle Unternehmen mit US-Börsennotierung bedeutet das mehr Aufwand. Dass dies den Investoren nicht immer mehr Sicherheit bringt, zeigt aktuell der gefallene Börsenstar Valeant Pharmaceuticals. Noch ist zwar unklar, in welchem Umfang Valeant selbst sich betrügerisch verhalten hat. Hier stehen die Aussagen des Shortsellers Andrew Left und anderer Kritiker gegen die von Valeant-CEO Michael Pearson. Der Absturz an der Börse zeigt indes, dass ein Investor nur überzeugend genug “Feuer” schreien muss, um eine Panik zu erzeugen. Vertrauen ist fast eineinhalb Jahrzehnte nach Enron noch immer ein leicht zerbrechliches Gut.Zudem lassen sich bei Valeant Transparenzdefizite an allen Ecken und Enden ausmachen. Etwa die Beziehung zur Spezialpharmazie Philidor RX, mit der eine praktisch exklusive Partnerschaft bestand. Die Erlöse der Gesellschaft wurden intern konsolidiert und in deren Namen sogar Rechnungen geschrieben. Wohl nur durch eine Klage in Kalifornien wurde die Beziehung unlängst offengelegt. Tröpfchenweise gelangten in den vergangenen Tagen weitere Details an die Öffentlichkeit. Philidor erbrachte offenbar Call-Center-Dienste für andere Apotheken, Mitarbeiter benutzten unterschiedliche Namen im Kundenkontakt – teils von Comic-Helden entliehen. Am Freitag wurde die fragwürdige Verbindung zu Philidor nun gekappt. Doch auch hier rennt Ex-McKinsey-Partner Pearson der Realität nur hinterher. Drei der größten US-Arzneimittelabrechner – Express Scripts, CVS Health und Optum Rx – erklärten schon am Donnerstag, Rechnungen von Philidor würden nicht mehr beglichen. Die Spezialpharmazie informierte Valeant, dass sie ihr Geschäft bald einstellen werde. Left erhob in seinem Investmentbrief Citron Research derweil noch weit schwerwiegendere Anschuldigungen: Valeant habe Philidor und ein Schattenapothekennetz genutzt, um den Umsatz künstlich aufzublähen.Ob das stimmt, ist zwar noch unklar. Doch auch die bekannten Methoden der Pharmagesellschaft, ihre Umsätze zu treiben, sind längst im Kreuzfeuer der Kritik. So fiel das Unternehmen in den vergangenen Jahren vor allem damit auf, Wettbewerber zu übernehmen, deren Forschung- und Entwicklungskosten herunterzufahren und die Preise etablierter Medikamente drastisch zu erhöhen. So stieg etwa der Preis des Diabetes-Mittels Glumetza nach der diesjährigen Übernahme von Salix Pharmaceuticals um knapp 800 %. Auch bei anderen Medikamenten wurden die Preise vervielfacht. Mittlerweile untersucht die US-Justiz die Legalität des Geschäftsgebarens.Dass sich die Investoren an der zumindest moralisch mehr als fragwürdigen Praxis nicht gestört haben, hatte einen simplen Grund. Valeant lieferte, was andere Firmen nicht liefern konnten: Unglaublich rasantes Wachstum. Die Kanadier, die 2009 nur 830 Mill. Dollar erlöst hatten, setzten vergangenes Jahr bereits über 8 Mrd. Dollar um. Im laufenden Turnus wurden zuletzt gut 11 Mrd. Dollar angepeilt. Noch am 19. Oktober, wenige Tage vor dem Skandal um Philidor, hatte Pearson den Ausblick angehoben.Dabei hätten die Investoren gewarnt sein können. Das Unternehmen kaufte und integrierte weitaus schneller als jede andere Firma in der Branche. Kümmern sich andere Konzerne nach größeren Übernahmen erst einmal um die Integration, gab es für Valeant scheinbar keinen ungünstigen Zeitpunkt für den nächsten Zukauf. Wer Preiserhöhungen um mehrere hundert Prozent durchsetzen kann, stört sich wohl an wachsenden Ineffizienzen nicht. Statt sich zu fragen, wieso Integration bei Valeant so einfach geht, wurde an der Börse nur geklatscht. Der Hedgefonds-Milliardär Bill Ackman gab über Monate den ersten Cheerleader und bezeichnete Valeant als “Berkshire Hathaway im Frühstadium”. Seit Anfang August dürfte der Wert seiner Beteiligung von 5 Mrd. auf 2 Mrd. Dollar gefallen sein. Am Freitag hat er noch einmal für sein Fehlinvestment getrommelt. “Wir glauben nicht, dass das Geschäftsmodell kaputt ist.” Auch der größte Investor Ruane, Cunniff & Goldfarb, der über 4 Mrd. Dollar an Wert eingebüßt haben dürfte, verteidigte den Pharmakonzern. Valeant operiere im Grenzbereich, bewege sich aber im Rahmen der Gesetze. Daran glauben immer weniger Investoren. Am Freitag verlor die Aktie zeitweise knapp 13 %. Der Absturz mit Ansage setzt sich fort.——–Von Sebastian SchmidNach Enron sollte Sarbanes-Oxley die Transparenz für Investoren erhöhen. Der Skandal um Valeant zeigt, dass diese auch heute nur sehen, was sie sehen wollen.——-