Absurdes Bewertungsziel
Ist der Börsengang von Saudi Aramco vom Pech verfolgt? Zu dieser Ansicht kann man bei einer sehr kurzfristigen Betrachtung kommen. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der weltgrößte Ölförderkonzern noch in diesem Jahr an der Börse in Riad gelistet werden soll. Doch schon am Samstag lenkten Drohnenangriffe auf Anlagen des staatseigenen Unternehmens das Augenmerk möglicher Erstzeichner auf die beträchtlichen Sicherheitsrisiken in der Unruheregion. Schlechtem Kismet die Schuld für die absehbare Verschiebung des IPO zu geben, greift aber viel zu kurz. Die Vorbereitung des vermeintlich größten Börsengangs aller Zeiten war von Beginn an ein Desaster, geprägt von Ignoranz und Selbstüberschätzung des Eigentümers, der Herrscherdynastie der Saud.Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud – der starke Mann im Staat – hatte 2016 die Börsenpläne für Aramco tröpfchenweise durchsickern lassen. Sie sollten das Herzstück seiner Wirtschaftsreform sein, denn mit dem Erlös wollte er einen erheblichen Teil des angestrebten Umbaus der saudi-arabischen Wirtschaft finanzieren und damit die Abhängigkeit des Landes vom Öl reduzieren. Dabei wurde für Aramco eine Bewertung von rund 2 Bill. Dollar angestrebt. Die ins Auge gefasste Platzierung eines 5-prozentigen Anteils würde demnach 100 Mrd. Dollar einbringen. Damit wäre dieses IPO das größte aller Zeiten, weit vor der Emission des Online-Händlers Alibaba aus China, die 2014 auf ein Volumen von 22 Mrd. kam.Schon bald aber kritisierten Branchenkenner die angestrebte Bewertung als völlig überzogen. Zwar gilt Aramco als weltweit profitabelster Konzern – für 2018 wurde ein Ebitda von 224 Mrd. Dollar ausgewiesen; das ist fast drei Mal so hoch wie der operative Gewinn von Apple -, doch die gestiegenen Produktionspotenziale, etwa durch Schieferölgewinnung (Fracking) oder sonstigen technischen Fortschritt, die Energiewende mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen und der Trend vom Benziner zum Elektroauto ließen die anvisierten 2 Bill. Dollar geradezu absurd erscheinen. Vor den Anschlägen war Aramco deshalb ein Wert von maximal 1 Bill. Dollar zugebilligt worden.Doch unbeeindruckt von aller Kritik wird bis heute an der Vorgabe einer 2-Bill.-Dollar-Bewertung festgehalten. Grund für die starre Haltung könnte zum einen die Angst vor Gesichtsverlust, zum anderen die nahezu uneingeschränkte Macht von Kronprinz Mohammed in Saudi-Arabien sein. Widerspruch oder Verweigerung ist er, der mit der Ermordung des kritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 in Istanbul in Verbindung gebracht wird, nicht gewohnt.Vielleicht gaben sich der Kronprinz und die Verantwortlichen rund um den Börsengang dem Irrglauben hin, dass die Kritik an der Bewertung abebben würde, wenn man auf Zeit spielt, denn immer wieder wurde das Going Public verschoben. Hieß es anfangs, das IPO solle bis Ende 2018 durchgeführt werden, wurde daraus peu à peu 2021 – jedenfalls bis vor kurzem.Dann berichtete Bloomberg zunächst überraschend über Pläne, wonach Aktien von Aramco noch 2019, wahrscheinlich im November, verkauft und zunächst nur an der Tadawul – der saudischen Börse in Riad – notiert werden sollten. Ein internationaler Börsenplatz für das Zweitlisting sollte später folgen. Am Mittwoch bekräftige der saudische Finanzminister Mohammed Al-Jadaan laut Bloomberg, ein Anteil von Aramco solle in den nächsten zwölf Monaten verkauft werden. Kurz zuvor hatte Aramco-CEO Amin Nasser erklärt, die Anlage in Abqaiq verarbeite wieder rund 2 Mill. Barrel pro Tag und solle bis Ende September das ursprüngliche Niveau von knapp 5 Mill. Barrel erreichen. Das entspricht fast der Hälfte der saudischen Ölförderung bzw. etwa 5 % des globalen Angebots. Dessen ungeachtet kann Aramco den Lieferverbindlichkeiten für einen Monat aus Lagerbeständen nachkommen. Erst wenn bis dahin das normale Förderniveau nicht erreicht würde, käme es zu Ausfällen. Schwerer aber wiegt, dass die Verwundbarkeit von Aramcos Ölinfrastruktur zutage getreten ist. Auch das Länderrisiko wird nun sicher anders beurteilt, da es offenbar eine beachtliche Eskalationsbereitschaft in der Region gibt. Da hilft es wenig, wenn die Reserven von Aramco durch den möglicherweise dauerhaft gestiegenen Ölpreis – aufgrund einer höheren Risikoprämie – einen Bewertungsaufschlag erfahren könnten. Die fälligen Neubewertungen durch Investoren werden unter den vorherigen Ergebnissen liegen. Doch schon jetzt ist, was ein spektakulärer Börsengang hätte werden können, wegen überhöhter Ansprüche und einer Hinhaltetaktik zum Ärgernis geworden. ——Von Martin DunzendorferDer Angriff auf die Infrastruktur von Saudi Aramco, wenige Wochen vor dem Erstlisting des weltgrößten Ölförderkonzerns, passt zum verkorksten IPO.——