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Am Arbeitsmarkt beißt sich die Katze in den Schwanz

Der Krieg hat in der russischen Wirtschaft vieles durcheinandergebracht. Eines der neuen Phänomene erinnert an die Rohstoffhausse der Nullerjahre.

Am Arbeitsmarkt beißt sich die Katze in den Schwanz

Von den großen Problemen, die Russlands Gesellschaft und Wirtschaft plagen, hat der Ukraine-Krieg nicht nur keines gelöst, er hat die meisten sogar verschlimmert. Vermutlich am stärksten sichtbar wird das an der demografischen Situation. Da durchläuft das Land ja seit gut zehn Jahren eine historische Delle, die von der geburtenarmen Zeit der armen postsowjetischen 1990er Jahre herrührt und die noch bis etwa 2030 andauern wird. Verschärft wird diese Delle nicht nur dadurch, dass Männer im Krieg umkommen oder verwundet werden, sondern auch dadurch, dass Hunderttausende ins Ausland geflüchtet sind. Der Mangel an Arbeitskräften hat dazu geführt, dass die Löhne exorbitant gestiegen sind. 

Aber es ist nicht das einzige Problem, das den Arbeitsmarkt belastet. Ein anderes sind offenbar die Mitarbeiter der Jahrgänge 2000 bis 2011, also der Generation Z. Über sie klagen 52% jener fast 70 Unternehmen, die vom Beratungsunternehmen Kept in einer entsprechenden Studie befragt worden sind. Zu 88% klagen die Unternehmen darüber, dass diese jungen Leute zu hohe Lohnerwartungen hätten, zumal ihre Kompetenzen gering seien. Zu 82% bemängeln sie, dass diese Generation das Interesse an der Arbeit schnell verliere. Und dann gaben noch 45% der Arbeitgeber an, dass es unabhängig vom Alter der Mitarbeiter zu einem verstärkten „Job-Hopping“ gekommen sei, also Unternehmenswechsel nach weniger als einem Jahr. Bei den Jüngeren stellten das noch mehr Arbeitgeber fest.

Steigende Löhne

Generation Z hin oder her. Wenn der Arbeitsmarkt ausgedünnt ist und die Unternehmen zu ständigen Lohnerhöhungen gezwungen sind, weil der Staat mit noch höheren Löhnen in die Rüstungsindustrie lockt, dann reagieren die Mitarbeiter eben auf ihre Art, um davon zu profitieren. Paradox: Eine teils vergleichbare Situation konnte man in der Zeit der Rohstoffhausse bis 2008 beobachten: In der damaligen Phase des ersten nennenswerten Wohlstandsaufbaus seit fast einem Jahrhundert „sprangen“ gerade junge Mitarbeiter in Windeseile von einem Job zum nächsten und trieben mit immer besseren, aber teils auch fingierten Kompetenzen die Löhne.

Zurück zur Gegenwart: In ihr hat das neue Phänomen auch eine zweite Seite. Und zwar spielen Bewertungen und Erfahrungsberichte von aktuellen und ehemaligen Beschäftigten beim Recruiting eine signifikante Rolle, geht aus einer Erhebung des Stellenportals Headhunter hervor. Ganze drei Viertel lesen die Bewertungen auf Jobportalen oder informieren sich anderweitig über den Arbeitgeber, ehe sie sich bewerben. Fast 70% der befragten Arbeitnehmer haben daher schon mindestens einmal von einer Bewerbung abgesehen. Die Gründe: „Schlechte Arbeitsbedingungen“ oder „unfaire Behandlungen durch den Chef“ (jeweils 80%). Und siehe da: 66% bewarben sich nicht, weil der Arbeitgeber „niedrige Löhne zahlt“, und 63% nicht, weil das Unternehmen eine „hohe Fluktuation“ aufweist. Da beißt sich inzwischen die Katze in den Schwanz.

Notiert in Moskau

Die Katze beißt sich in den Schwanz

Von Eduard Steiner
BZ+
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