Am Provisionsverbot scheiden sich die Geister
Am Provisionsverbot scheiden sich die Geister
Die Kritik an der Kleinanlegerstrategie reißt nicht ab – selbst in abgespeckter Form
Von Detlef Fechtner und Stefan Reccius, Brüssel
Versicherungsmakler in Existenzangst, Verbraucherschützer zwischen Hoffnung und Ernüchterung, Branchenlobbyisten in Hochform: An kaum einem finanzmarktpolitischen Vorhaben scheiden sich die Geister so wie an der Kleinanlegerstrategie. Die Kritik an der Initiative der EU-Kommission reißt nicht ab, dabei ist sie beim umstrittensten Part – einem Provisionsverbot für Bankberater – auf eine "Light-Variante" umgeschwenkt.
Deren Vergütung durch Provisionen der Anbieter von Finanzprodukten stört die EU-Kommission schon lange, sie wittert Interessenkonflikte. Im Zuge der Kleinanlegerstrategie will die EU-Behörde nun zumindest Zuwendungen für den beratungslosen Vertrieb von Produkten verbieten. Verbraucherschützer flehen sie an, diese "Once in a lifetime"-Gelegenheit nicht verstreichen zu lassen. Aber selbst eine abgespeckte Version stößt auf Widerstände: im EU-Parlament, im Ministerrat, in der Finanzbranche sowieso.
Eigentlich möchte die EU-Kommission Provisionen für den Vertrieb von Finanzprodukten generell abschaffen – und zwar schon seit langer Zeit. Die EU-Behörde macht kein Geheimnis daraus, dass Zuwendungen der Produktanbieter an die Berater von Finanzprodukten nach ihrer Beobachtung dazu führen, dass Kleinanleger regelmäßig in teurere und letztlich weniger erfolgreiche Investmentprodukte gelenkt werden. "Es gibt Hinweise", argumentiert die EU-Kommission, "dass dies erhebliche Auswirkungen auf die Nettokapitalrendite von Privatanlegern hat."
Allerdings weiß die EU-Kommission auch, dass sie damit ein etabliertes Geschäftsmodell in vielen Ländern der EU in Frage stellt. Ein generelles Verbot von Provisionen würde dort Banken und Fonds zwingen, Produktkonzeption, Beratung und Vertrieb vollständig umzukrempeln. Ein solcher Vorschlag würde daher auf den erbitterten Widerstand großer Marktakteure und auch Regierungen treffen.
Widerstand aus Frankreich
Deshalb ist die EU-Kommission umgeschwenkt. "Angesichts der potenziell negativen Auswirkungen der Einführung eines vollständigen Verbots" habe man sich für einen "abgestuften Ansatz" entschieden, heißt es in dem Vorschlag für eine EU-Richtlinie zum Schutz von Kleinanlegern vom 23. Mai. "Abgestuft" bedeutet, dass das Verbot von Zuwendungen auf "Verkäufe ohne Beratung" beschränkt werden soll, auf die sogenannten "Execution only"-Provisionen, im Branchensprech: "XO". Aber auch gegen diese weichere Form formiert sich Widerstand bei den Co-Gesetzgebern im Ministerrat und im EU-Parlament.
Frankreich sei gegen das partielle Verbot, heißt es in diplomatischen Kreisen. Zwar wären die Nachteile eines Execution-only-Banns für französische Finanzinstitute und Investmentgesellschaften überschaubar. Aber die französische Regierung argwöhnt, dass ein Provisionsverbot für das beratungslose Geschäft den Weg ebnen und den Einstieg bilden soll in ein Komplettverbot – und das hätte durchaus Weiterungen für die französische Finanzindustrie.
Die Sorge, dass die EU-Kommission nachlegen will, sobald sie mit dem Execution-only-Verbot die Tür erst einmal einen Spalt geöffnet hat, ist nicht weit hergeholt. Denn die EU-Behörde hat bereits angekündigt, das Verbot anschließend ausweiten zu wollen. Sie behalte sich vor, die "Wirksamkeit des Rahmens zu überprüfen und alternative Maßnahmen in Einklang mit den Vorschriften für eine bessere Rechtsetzung vorzuschlagen, gegebenenfalls einschließlich eines möglichen Verbots von Anreizen".
Deutschlands Position in diesem Dossier ist noch nicht ganz klar. Zwar hat Bundesfinanzminister Christian Lindner sich gegen einen partiellen Bann ausgesprochen. Lindner muss sich in der Regierung aber noch mit dem Wirtschafts- und dem Verbraucherschutzministerium abstimmen. Derzeit, so berichtet ein Diplomat, komme das Kleinanleger-Paket im Ministerrat nur zögerlich voran.
Vorbehalte im EU-Parlament
Bemerkenswerterweise sind die Vorbehalte im EU-Parlament, das traditionell Verbraucher- und Anlegerschutzinteressen gegenüber aufgeschlossen ist, noch erheblicher als im Ministerrat. Das liegt vor allem an der Haltung der Berichterstatterin. Federführend wird das Dossier von der Französin Stéphanie Yon-Courtin betreut. Sie gehört in ihrem Heimatland dem Bündnis "Renaissance" an, der Nachfolgeorganisation der einst von Präsident Emmanuel Macron mit ins Leben gerufenen Bewegung "La Republique en marche". Im Europäischen Parlament ist "Renaissance" Mitglied der liberalen Parteienfamilie Renew Europe, der aus Deutschland FDP und Freie Wähler angehören.
Yon-Courtin hat sich, wie einem ersten Entwurf für die Parlamentsposition zu entnehmen ist, nicht nur "nachdrücklich gegen ein vollständiges Verbot von Provisionen ausgesprochen". Sie sei zudem "besorgt über die Einführung eines teilweisen Verbots von bloßen Ausführungsdienstleistungen, da dies nicht gerechtfertigt ist und das Problem der Interessenkonflikte nicht zu lösen scheint." Es sehe, so argumentiert die Berichterstatterin weiter, eher so aus, als sei dies ein erster Schritt in Richtung eines vollständigen Verbots. Viele Verbraucher in der EU verließen sich auf den Rat von Finanzberatern, erklärt Yon-Courtin. Deshalb sei es notwendig, den derzeitigen Rahmen durch geeignete Instrumente und Verbesserungen zu ergänzen. Die Französin ist ausdrücklich der Meinung, dass die Interessenkonflikte durch mehr Transparenz gelöst werden könnten.
Darüber hinaus ist die Berichterstatterin der Ansicht, dass "der Zeitpunkt und der Inhalt der Überprüfungsklausel nicht zufriedenstellend sind". Die Überprüfungsklausel dürfe nicht so voreingenommen sein, dass sie automatisch zur Einführung eines vollständigen Verbots von Anreizen führe, mahnt Yon-Courtin. Daher schlägt sie vor, die Frist von drei auf fünf Jahre ab dem Ende der Umsetzungsfrist der Richtlinie zu verlängern, um die tatsächlichen Auswirkungen auf den Markt beobachten zu können.
Erleichterung in der Branche
Wenig überraschend ist die Positionierung der Berichterstatterin auf großes Lob aus Fondsindustrie und Bankenbranche gestoßen. Deren Verbände haben ähnliche Vorbehalte formuliert. Selbst ein Teilverbot hätte spürbare Auswirkungen für Vertrieb und Beratung. Und im Falle eines Komplettverbots müssten viele Finanzdienstleister in Europa ihr Geschäftsmodell umfangreich umkrempeln, bestätigen Beratungsunternehmen wie PwC, KPMG oder EY. Auch von Philipp Eckhardt, Ökonom des Forschungszentrums CEP, muss sich die EU-Kommission einiges anhören: Ihre Kleinanlegerstrategie sei insgesamt "missglückt".
Die Frage ist nun, ob Yon-Courtin eine Mehrheit für ihre Haltung organisieren kann. Beobachter gehen davon aus, dass sie von ihrer eigenen Parteienfamilie, der liberalen Renew Europe, unterstützt wird. Ebenfalls auf ihrer Seite dürften große Teile der Europäischen Volkspartei (EVP) stehen, zu der CDU und CSU gehören – womöglich nicht jedoch die nordeuropäischen Konservativen. Für den Entwurf von Yon-Courtin könnte sich zudem die rechtskonservative Parteienfamilie ECR aussprechen, der sich unter anderem die PiS aus Polen angeschlossen hat.
Ob das für eine Mehrheit reicht, hängt unter anderem vom Abstimmungsverhalten des rechtsextremen Blocks im EU-Parlament, der Parteienfamilie Identität und Demokratie, ab. Konservative, Liberale, Rechtskonservative und Rechtsextreme würden es – theoretisch gesehen – auf eine Mehrheit bringen. Allerdings werden Liberale und Konservative darauf achten, dass sie nicht auf die Unterstützung der Rechtsextremen angewiesen sind.
Auf Stimmen aus dem linken Spektrum des Parlaments kann Yon-Courtin nicht zählen. Der SPD-Europaabgeordnete René Repasi unterstellt ihr, vor der Finanzbranche eingeknickt zu sein. Ihr Berichtsentwurf lösche zugunsten des Finanzsektors sämtliche verbraucherschützenden Verbesserungen der Gesetzesinitiative. Damit stelle er "einen deutlichen Rückschritt dar". Repasi stellt klar, dass sich seine Fraktion mehr denn je für ein "konsequentes Provisionsverbot" einsetzen werde und dafür, das Preis-Leistungs-Verhältnis für Anleger zu optimieren.
"Preis-Leistungs-Benchmarks" sind ebenfalls eine Idee der EU-Kommission, mit der sie die Aufsichtsbehörde ESMA beauftragen möchte. Auch das ist kontrovers und Yon-Courtin ist dagegen. Insofern dürfte es schwer werden, den sportlichen Gesetzesfahrplan einzuhalten und noch in dieser Legislaturperiode zu einer Einigung zu kommen. Selbst dann treten die Neuerungen wohl frühestens 2026 in Kraft.