Amerikas Opernbühnen im Existenzkampf
Notiert in New York
Opernhäuser im Existenzkampf
Von Alex Wehnert
Lüstern und bedrohlich nähert sich der Baron der Sängerin, die er in seiner Gewalt zu haben glaubt. Er breitet bereits die Arme aus, doch die Dame, getrieben von Verzweiflung und Wut, hat sich ein Messer gegriffen und sticht den Übeltäter nieder. Das dramatische Ende des zweiten Akts von Giacomo Puccinis Oper „Tosca“ sahen Zuschauer erstmals vor fast 125 Jahren – doch auch heute weiß sie das Publikum in der Metropolitan Opera in ihren Bann zu ziehen. Die Stimme der norwegischen Sopranistin Lise Davidsen in der Titelrolle trägt in voller Klarheit bis in die oberen Ränge des New Yorker Hauses, das an diesem Dienstagabend im November ausverkauft ist. Langjährige Anhänger der „Met“ registrieren die hohe Auslastung dabei mit Erleichterung.
Mittel in Stiftungsfonds schwinden
Denn amerikanische Opernhäuser stehen wohl vor größeren existenziellen Herausforderungen als je zuvor. Ein Mangel an musikalischer Bildung an US-Schulen trübt die Aussichten, dass sich nachfolgende Generationen noch für die Kunstform interessieren, ein – zumal der Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit von Entertainment-Konsumenten in Zeiten von Streamingdiensten so hart ist wie nie. Viele Betreiber ringen noch immer darum, sich von den Verlusten aus der Hochphase der Coronakrise zu erholen. Die Met musste infolge pandemiebedingt weggebrochener Ticketerlöse zuletzt häufiger ihren Stiftungsfonds anzapfen. Die darin gehaltenen Mittel sind in der laufenden Saison auf 255 Mill. Dollar zurückgegangen, nachdem sie sich im Juli 2023 noch auf 309 Mill. Dollar summierten.
Peter Gelb, der General Manager des Hauses am Lincoln Center, wendet sich in der „New York Times“ mit einem passionierten Aufruf an die Branche. Es sei Zeit für künstlerische Neuerungen, nachdem sich viele Opernhäuser, das akademische Publikum und die Kritik in den vergangenen Jahrzehnten gegen Änderungen gewehrt hätten. Die Bühnen sollten nun Stoffe von lebenden Komponisten aufgreifen oder klassische Inhalte zeitgenössisch aufbereiten, um ein breiteres Publikum zu erreichen.
Hohe Kosten für Neuproduktionen
Doch das erfordert Mut. Die durchschnittlichen Kosten einer neuen Produktion der Met belaufen sich auf 2,5 Mill. Dollar, Opern, die beim Publikum nicht voll einschlagen, kann sich das Haus eigentlich nicht leisten. Entsprechend fällt die Zahl der gezeigten Stücke in der laufenden Saison mit 18 so niedrig aus wie seit der durch einen Streik verkürzten Spielzeit 1980/81 nicht.
Doch lockt die „Met“ durchaus mit neuen Stoffen – in „Grounded“ geht es um eine Ex-Kampfpilotin, die Militärdrohnen steuert und in ethische Konflikte gerät, „Ainadamar“ dreht sich um die Ermordung des spanischen Lyrikers Federico Garcia Lorca durch Anhänger Francisco Francos. Mit der Strategie hat Gelb Erfolg: Die Auslastung hat sich zuletzt der Marke von 75% genähert, die vor der Pandemie üblich war. Und das Durchschnittsalter des Publikums ist seit den Nullerjahren von Mitte 60 auf 44 gesunken. Es besteht also Hoffnung, dass die Opernbühnen Amerikas ihren Existenzkampf gewinnen.