Angespannt
Drei Jahre nach Ankündigung des größten Umbaus in der Firmengeschichte steht der Volkswagen-Konzern mehr denn je unter Anspannung. Die (juristische) Aufarbeitung des im September 2015 aufgeflogenen Dieselskandals, dessen Kosten sich seit der Präsentation der Strategie 2025 auf 30 Mrd. Euro verdoppelt haben, stellt die Wolfsburger weiterhin vor große Herausforderungen. Zugleich wurde zwar eine Elektrostrategie aufgelegt und beschleunigt, der Umbau zu einem softwarebasierten Unternehmen angestoßen und im Zuge einer neuen Konzernstruktur die Verantwortung auf mehr Schultern verteilt. Die Fortschritte auf dem 2016 vom damaligen Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller vorgezeichneten Weg, überflüssige Pfunde abzutrainieren und zusätzliche Muskeln für den Umstieg auf Elektromobilität, autonomes Fahren und neue Mobilitätsdienste aufzubauen, sind bislang jedoch überschaubar geblieben. Die Skepsis des Kapitalmarkts mit Blick auf VW drückt sich in einer Unternehmensbewertung aus, die man beim weltgrößten Autohersteller für deutlich zu niedrig hält. Dem US-Elektroautobauer Tesla, dem im zweiten Halbjahr 2018 erstmals zwei Quartalsgewinne nacheinander gelangen, bescheinigen Kapitalmarktakteure eine stärkere Zukunftsfähigkeit. Auch weil die eigene Aktie als Akquisitionswährung in der Branchenkonsolidierung dienen kann und ein hoher Börsenwert bei Partnerschaften, die für den mit hohen Kosten und Risiken behafteten Wandel benötigt werden, von Vorteil ist, hatte sich der VW-Konzern vor drei Jahren eine substanzielle Steigerung von Effizienz, Produktivität und Profitabilität vorgenommen. Zudem wurde in Aussicht gestellt, zusätzliche Mittel für Zukunftsinvestitionen könnten auch durch eine Optimierung des bestehenden Marken- und Beteiligungsportfolios generiert werden. Dass Vorstandschef Herbert Diess, der im April 2018 den gerade zweieinhalb Jahre amtierenden Müller ablöste, beständig mehr Tempo, Kooperation und Veränderungsbereitschaft anmahnt, zeigt, wie schwer sich der Zwölfmarkenkonzern – ungeachtet externer Faktoren wie der Abkühlung der Autokonjunktur im mit Abstand wichtigsten Markt China – mit der notwendigen Steigerung der Profitabilität tut. Auch der Verkauf von Unternehmensteilen ist für das lange auf Wachstum ausgerichtete Unternehmen alles andere als eine profane Aufgabe. Der nun für Ende Juni geplante Teilbörsengang der Truck-Holdingtochter Traton ist ein erster Schritt, die Bewertungslücken zu Wettbewerbern durch Konzentration auf das automobile Kerngeschäft und durch Reduktion von Komplexität im Konzern zu verringern. Unabhängig von dem angekündigten Platzierungsvolumen und Erlösen, die angesichts von Konjunkturrisiken und volatiler Aktienmärkte Zurückhaltung erkennen lassen, verschafft er der Umbruchstrategie des VW-Konzerns dringend benötigte Glaubwürdigkeit – und ist damit ein wichtiges Signal an den Kapitalmarkt. Weitere Schritte könnten ein Verkauf von Randbereichen wie der Großmotorentochter MAN Energy Solutions und dem Getriebehersteller Renk sein. Die Steuerung des Supertankers Volkswagen, der weltweit 660 000 Menschen beschäftigt, erweist sich in Anbetracht des signifikanten Einflusses, über den der Betriebsrat und das Land Niedersachsen als zweitgrößter Aktionär verfügen, nach wie vor als äußerst diffizil. Die schwierigen Verhandlungen über Ansätze zur beschleunigten Renditesteigerung bei der Kernmarke VW Pkw etwa haben die Spannungen im Unternehmen gerade wieder deutlich werden lassen. Dass es der frühere BMW-Vorstand Diess eine “Meisterleistung” nennt, Projekte wie die Ford-Kooperation bei leichten Nutzfahrzeugen (und demnächst wohl auch bei Roboter- und E-Autos), den Aufbau einer eigenen Batteriezellfertigung, die strategische Werksbelegung und den Traton-Börsengang “durch unsere komplizierte Governance zu bringen”, spricht Bände.——Von Carsten SteevensDer Traton-Börsengang ist für VW ein Schritt zur Umsetzung der Konzernstrategie und zur Steigerung der Bewertung. Die Konzernsteuerung bleibt diffizil.——