Anleihenblase birgt erhebliche Risiken für die Finanzmärkte
Von Christopher Kalbhenn,
Frankfurt
Mit zunehmendem Unbehagen verfolgt mancher Marktteilnehmer das Treiben an den Finanzmärkten. Es geht die Sorge um, dass die im Ausmaß historisch einmaligen geld- und fiskalpolitischen Impulse sowie die immense Liquidität, die die Asset-Preise inmitten der Coronakrise hochtreiben, eine Finanzmarktblase produzieren, die in nicht allzu ferner Zukunft platzen könnte – mit unter Umständen gravierenden realwirtschaftlichen Konsequenzen.
Zunehmende Warnungen
Erscheinungen wie etwa die extremen Kurssteigerungen von Kryptowährungen und die absurd hoch anmutenden Kursgewinne und Bewertungen von Aktien wie Tesla, der Ansturm der Privatanleger an die Börsen, rekordhohe Wertpapieremissionen etc. werden als Warnsignale wahrgenommen. Immer mehr mahnende Stimmen sind zu vernehmen. So warnte kürzlich der Allianz-Vorstandsvorsitzende Oliver Bäte vor einer Bewertung an den Aktienmärkten, die der Lage vor dem Lehman-Crash und dem Ende der Dotcom-Hausse entspreche. Nicolai Tangen, Chef des norwegischen Staatsfonds, sprach im Zusammenhang mit dem grünen Boom an den Aktien- und Anleihemärkten von Parallelen zu Technologiewerten kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende.
In den zurückliegenden Jahrhunderten hat es immer wieder spekulative Blasen gegeben, die mit einem lauten Knall geplatzt sind, darunter die Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts, die Eisenbahnmanie in den USA im 19. Jahrhundert und die Hausse der Zwanzigerjahre, die mit dem großen Crash des Jahres 1929 mit anschließender Weltwirtschaftskrise endete. Dabei gibt es wiederkehrende Verlaufsmuster. Der amerikanische Ökonom und Wirtschaftshistoriker Charles P. Kindleberger unterscheidet fünf Phasen. Ein Auslöser – das können technologische Innovationen, politische Umwälzungen etc. sein – startet einen Preis- bzw. Kursanstieg. Dieser geht in einen Boom über, der schließlich in eine Euphorie mündet. In der vierten Phase wird der Gipfel erreicht, und die Blase platzt, gefolgt von einer Panikphase, einem Crash, in dem die Anleger massenhaft aus den betroffenen Assets aussteigen.
Jede Blase hatte aber ihre eigenen Besonderheiten, zumeist sind sie mit der heutigen Situation kaum in einer Weise vergleichbar, dass sinnvolle Schlüsse für die Zukunft gezogen werden können. Zudem gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was eine Blase ist bzw. ab wann von einer Blase gesprochen werden kann. Goldman Sachs hat kürzlich in einer Studie eine ihrer Ansicht nach sinnvolle Definition formuliert. Demnach ist eine Blase eine rapide Beschleunigung von Preisen und Bewertungen, die zu einer unrealistischen Annahme über zukünftiges Wachstum und Erträge führt. Bezüglich der Relevanz hat die Bank allerdings zwei Vorbehalte. Eine exzessive Kurssteigerung in einem Einzelunternehmen oder einem engen Bereich des Marktes bedeute nicht unbedingt, dass es ein systemisches Risiko für das gesamte Finanzsystem oder die Wirtschaft gebe, das üblicherweise mit Finanzblasen assoziiert wird. Die Spekulation müsse hinreichend breit und weitreichend sein, um als Blase beschrieben zu werden. Ferner führten nicht alle rapiden Kursanstiege zu Blasen. Es gebe Phasen, in denen Asset-Preise stark stiegen, weil es eine echte Verbesserung in einem Asset gebe, die eine Neubewertung rechtfertige. Blasen entstünden, wenn starke Kursanstiege lediglich auf Hoffnungen und Möglichkeiten beruhten anstatt auf fundamentalen Gegebenheiten.
Dotcom-Hausse im Fokus
Aus zwei Gründen ist indes nachvollziehbar, dass zumeist die Dotcom-Hausse als Referenz gewählt wird, wenn Sorgen über die aktuelle Entwicklung geäußert werden. Diese Blase liegt zum einen noch nicht weit zurück und ist damit im Bewusstsein der Marktteilnehmer noch präsent. Zum anderen wird die aktuelle Hausse wie die Dotcom-Blase vor allem von Technologie- bzw. Internet-Aktien getragen. Es gibt jedoch gravierende Unterschiede zu damals. Zwar haben die Bewertungen des gesamten Marktes und gerade des Technologiesektors auf den aktuellen Rekordständen durchaus anspruchsvolle Niveaus erreicht. Sie sind aber längst noch nicht auf den Höhen, die zur Jahrtausendwende bestanden. Zudem beruhen die Bewertungen gerade des Technologie-/Internetbereichs heute eben nicht wie damals zu einem sehr großen Teil auf Hoffnung und Fantasie. Insbesondere die großen börsennotierten Unternehmen des Sektors wie etwa Amazon weisen heute funktionierende Geschäftsmodelle, stark steigendes Erlöswachstum, hohe Profitabilität und in einigen Fällen dominante Marktstellungen auf.
Besonderes Zinsumfeld
Goldman Sachs verweist auf weitere Unterschiede, die ihrer Einschätzung nach dagegen sprechen, dass derzeit eine Blase am Aktienmarkt entsteht. Neben der Tatsache, dass sich der Konjunkturzyklus in einem frühen Stadium befindet, verweist sie auf die niedrigen Zinsen. In den späten 90er Jahren seien die Anleger bezüglich der langfristigen Aussichten so zuversichtlich gewesen, dass sie bereit gewesen seien, Aktien mit Dividendenrenditen von durchschnittlich 1% bei einem risikolosen Zins von 6,5% zu kaufen. Heute befänden sich die Dividendenrendite und der risikolose Zins in den USA auf vergleichbaren Niveaus. In Europa lägen die Dividendenrenditen nach wie vor über dem risikolosen Zins, was auf anhaltende Skepsis bezüglich der langfristigen Wachstumsaussichten hindeute.
Aufgrund der Bedeutung der niedrigen Zinsen, die Aktien einen signifikanten relativen Bewertungsvorteil bescheren, scheint es sinnvoll, die Anleihemärkte zu fokussieren. Hier liegt definitiv eine Blase vor. Die Staatsanleiheverzinsungen der entwickelten Volkswirtschaften befinden sich zu einem großen Teil im negativen Bereich, was auf der Kursseite heißt: Gedehnter geht es kaum. Wenn das keine Blase sein soll, wäre die Frage zu stellen, welche Bedeutung das Wort Finanzmarktblase denn hat. Es ist andererseits aber auch keine Spekulationsblase. Die Notenbanken haben die Zinsen auf das aktuell extrem niedrige Niveau gedrückt, und die Investoren greifen eben nicht euphorisch zu riskanteren Assets, sondern zu einem Großteil aufgrund ihrer Ertragszwänge.
Gerade hier könnten erhebliche Risiken schlummern. Schon eine geringfügige Normalisierung der Verzinsungen auf ein historisch gesehen immer noch niedriges Niveau von z.B. 3% würde für Anleiheinvestoren erhebliche Verluste bedeuten und Dividendentitel einen erheblichen Teil ihres Bewertungspotenzials kosten. Die Nervosität, mit der die Aktienmärkte zuletzt auf die steigenden US-Anleiherenditen reagiert haben, ist möglicherweise ein Vorbote kommender Korrekturphasen.