Notiert inNew York

Apfelbauern am Hudson vor existenzieller Krise

Der Klimawandel stellt die Apfelbauern im Hudson Valley vor existenzielle Herausforderungen. Denn infolge des heftigen Niederschlags bleiben ihnen in der Hauptpflücksaison die wichtigen Besucher aus der Stadt fern.

Apfelbauern am Hudson vor existenzieller Krise

Notiert in New York

Granny Smith baumelt noch

Von Alex Wehnert

Granny Smith droht im Hudson Valley ein grässliches Schicksal. Noch hängt sie am Baum, schon bald wird sie aber zu Boden stürzen und im Wintermatsch verrotten. Denn die Apfelsaison im Bundesstaat New York ist mehr als enttäuschend ausgefallen. Die Bäume sind auch im November noch voller Früchte – neben Granny Smith auch der Sorten Gala und McIntosh – obwohl die Pflückzeit eigentlich Ende Oktober abgeschlossen ist.

Schuld daran ist das schlechte Wetter: An acht Wochenenden in Folge hat es im Hudson Valley während der Haupternteperiode ab September geregnet, der Niederschlag in der Region ist laut der US-Wetterbehörde NOAA 33% schwerer ausgefallen als im historischen Durchschnitt. Von den durchaus verbreiteten Schönwettertagen unter der Woche können sich die Bauern dabei wenig kaufen.

Schließlich generieren sie ihren Hauptumsatz samstags und sonntags – in normalen Jahren strömen dann die Besucher aus New York City nach „Upstate“, um in den Obstgärten selbst Äpfel zu pflücken. Zahlreiche Landwirte haben aus der Lust der Städter auf Landpartien seit den späten 1990er Jahren ein Geschäftsmodell gemacht.

Damals wie heute ist New York nach dem Staat Washington der zweitgrößte Apfelproduzent der Nation. Doch ein erheblicher Rückgang der Großhandelspreise zwingt insbesondere kleinere Höfe Ende des vergangenen Jahrtausends dazu, eine Entscheidung zu treffen: ein Abschied aus dem Apfelgeschäft oder eine Umstellung auf neue Kunden.

Not macht erfinderisch, Plantagen in Fahrdistanz zur Stadt satteln auf Retail-Verkäufe um. Auf vielen Höfen finden Besucher neben den Apfelbäumen heute zusätzliche Attraktionen wie Maislabyrinthe und Fahrten auf strohgedeckten, von Traktoren gezogenen Anhängern vor. Einige generieren inzwischen den Löwenanteil ihrer Jahreserlöse binnen weniger Wochen im Herbst.

Doch der heftige Niederschlag führt im laufenden Jahr dazu, dass die Städter den Höfen fernbleiben. Und wer sich an einem verregneten September- und Oktoberwochenende doch in die Obstgärten durchgeschlagen hat, ist wohl nicht erpicht darauf, diese Erfahrung so bald zu wiederholen. Denn eine Fahrt auf dem Heuwagen ist kaum noch vergnüglich, wenn der Karren ständig im Schlamm stecken bleibt. Unterdessen sind Festival-Abende mit Live-Musik und Catering, durch die einige Höfe zusätzliche Besucher anlocken wollten, ebenfalls dem Regen zum Opfer gefallen.

Die Obstbauern verlängern ihre Selbst­pflückzeiten nun also an einigen Orten, einzelne Landwirte wollen Besucher aus der Stadt auch mit Lichterfesten während der Wintermonate locken. Doch der Großteil hat die Saison wohl abgeschrieben. Der massive Wegfall von Erlösen dürfte sie dazu zwingen, neue Kredite aufzunehmen, Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten aufzuschieben oder auf die Anschaffung neuer Gerätschaften zu verzichten.

Dabei wäre jetzt die Zeit für Investitionen, um das Geschäft der Landwirte zum Beispiel durch den Bau von überdachten Aufenthaltsbereichen oder gastronomischen Angeboten mit Innenraum wetterfester zu machen. Schließlich dürfte 2023 nicht die letzte Saison mit einem massiv höheren Niederschlag bleiben. Am Beispiel der Landwirtschaft zeigen sich damit erneut die schwerwiegenden ökonomischen Schäden, die der Klimawandel nach sich zieht.

Leider zweifeln aber zahlreiche US-Politiker den wissenschaftlichen Konsens zur globalen Erwärmung an. Und so tobt in den USA ein ideologischer Streit, der sich durch Sanktionen republikanischer Staaten gegen Assetmanager mit Nachhaltigkeitsstrategien in der Finanzbranche niederschlägt. Dass der Konflikt an Schärfe verliert, ist mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 kaum zu erwarten.

Den Obstbauern im Hudson Valley bleibt unterdessen die zynische Hoffnung, dass der Klimawandel zumindest einen ungewöhnlich warmen November nach sich zieht. Dann steuern vielleicht doch mehr Städter die Obstgärten an, solange Granny Smith noch baumelt.

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