Schanghai

Applaus für Ai

Wenige Tage bis zum Beginn der Olympischen Spiele in Tokio, und im eigentlich olympiabegeisterten China scheint es niemanden zu kümmern. Nicht einmal die patriotische Staatspresse schwelgt in üblichen chinesischen Medaillenträumen rund um...

Applaus für Ai

Wenige Tage bis zum Beginn der Olympischen Spiele in Tokio, und im eigentlich olympiabegeisterten China scheint es niemanden zu kümmern. Nicht einmal die patriotische Staatspresse schwelgt in üblichen chinesischen Medaillenträumen rund um Tischtennis, Wasserspringen, Gewichtheben und Sportschießen. Das hat sicherlich mit der stimmungsdrückenden Covid-Misere und der Abwesenheit von Zuschauern zu tun, wohl aber auch mit einem staatlich verordneten Desinteresse an der japanischen Austragungsstätte. Alle Welt soll sich gefälligst auf Covid-freie Olympische Winterspiele in Peking konzentrieren, die schon recht bald im Februar 2022 über die Bühne gehen werden.

Mediales Interesse an Japan weckt im chinesischen Raum gegenwärtig nur die Olympionikin Ai Fukuhara. Die einstige Weltklasse-Tischtennisspielerin – kleinwüchsig, tüchtig, quirlig, lebenslustig und sprachgewandt – ist ohne eigenes politisches Zutun ein Wärmefaktor in den sonst eher eisigen Beziehungen zwischen China und Japan. Egal, wie sehr sich die beiden asiatischen Führungsmächte wegen territorialer Ansprüche, handels- und sicherheitspolitischer Fragen oder der Aufarbeitung ihrer Kriegshistorie in der Wolle haben, nichts kann die Zuneigung des chinesischen Publikums gegenüber „Xiao Ai“ (kleine Ai) erschüttern.

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Die viermalige Olympiateilnehmerin wird in sozialen Medien als wunderbarste japanische Person und beste Freundin Chinas geliebkost und hat wesentlich mehr Sympathieerfolge zu verzeichnen, als es die viel beschworenen Ansätze der genau 50-jährigen Pingpong-Diplomatie zwischen den USA und China je vermochten. Xiao Ai hat immer alles richtig gemacht, zum Beispiel in entscheidenden Momenten bei Olympia dann doch höflicherweise gegen eine chinesische Gegnerin zu verlieren. Bereits im Alter von drei Jahren hatte sie mit Pingpong begonnen und wurde als Zehnjährige zur Berufsspielerin – Chinesen mögen solche Wunderkinder. Wichtiger noch: Ai begab sich als Teenagerin zu Trainingszwecken ins Tischtennis-Mekka China und fand eine zweite Heimat im nordostchinesischen Harbin.

Der China-Aufenthalt gab Xiao Ai nicht nur in Sachen Schlägerführung den letzten Schliff, sondern auch fließendes Chinesisch auf den Weg und zwar samt einer gehörigen Portion des sogenannten Dongbei-Dialekts. Wenn Asiaten in Deutschland mit fließendem Schwäbisch oder einem gehaltvollen bayrischen Timbre parlieren, hat das einen unverkennbaren Charmeeffekt. Entsprechend liegt auch das Reich der Mitte Ai zu Füßen, wenn die 151 cm große Gute-Laune-Botschafterin quietschfidel im Dongbei-Dialekt loslegt.

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Derzeit ist Ai wieder in aller Munde. Nicht so sehr wegen Olympia, denn Ai hat nach den Spielen in Rio den Schläger beiseitegelegt und sich auf Ehe- und Mutterfreuden konzentriert. Ihr Partner Chiang Hung-Chieh ist zwar chinesischstämmig, kommt aber aus Taiwan, was natürlich Abzüge in der B-Note bedeutet, zumal der taiwanesische Dialekt auf dem Festland keinen sonderlichen Liebreiz weckt. Das ist nun Schnee von gestern, denn das Paar hat offiziell seine Scheidung verkündet. Zuvor waren in der japanischen Klatschpresse Berichte aufgekommen, denen zufolge sich Ai mit einem anderen Mann ein Hotelzimmer geteilt haben soll, und das als Mutter von zwei Kindern.

Normalerweise kennen chinesische Tratschkanäle bei solch „skandalösen“ Zwischenfällen kein Pardon, doch diesmal regnete es Beifall. Die Nachricht von der Scheidung ist auf Chinas Twitterkanal Weibo rund 700 Millionen Mal aufgerufen worden. Die Netzkommentare überschlagen sich mit Hurra­rufen für mutige Entschlossenheit und Glückwünschen für eine nun hindernisbefreite Zukunft. Im eigentlich sozialkonservativen China ist „Divorce Freedom“ ein populäres Thema. Auch eine bekannte Schauspielerin hat ihre Ehe aufgelöst, ohne vom breiten Publikum dafür verurteilt zu werden. Xiao Ai setzt der Liberalisierungsbewegung nun das Sahnehäubchen auf, zumal keine Gefahr mehr besteht, dass ihre charmante Sprachfärbung taiwanesisch unterwandert wird.