Atomstromriese EDF ringt mit Pariser Regierung
Atomkonzern
Stromriese nach der Renationalisierung
Versorger EDF ringt mit Frankreichs Regierung um Tarife und Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke
wü Paris
Von Gesche Wüpper, Paris
Fast vier Monate ist es her, dass der französische Staat den Stromversorger Electricité de France (EDF) von der Börse genommen hat. Trotz der Rückverstaatlichung steht der hochverschuldete Betreiber der 56 Atomreaktoren in Frankreich nach wie vor vor großen Problemen und Herausforderungen – denselben wie zuvor.
EDF muss nicht nur den Bau neuer EPR-Druckwasserreaktoren lancieren und erneuerbare Energien ausbauen. Der vor 77 Jahren gegründete Konzern muss auch die bestehenden Atomkraftwerke für die geplante Verlängerung der Laufzeiten fit machen. Er muss zudem auch das Auslaufen des Fördermechanismus für Atomstrom Ende 2025 vorbereiten. Genau über diese Frage ist nun ein Kräftemessen mit dem französischen Staat entbrannt.
Der sogenannte ARENH (Accès réglementé à l'électricité nucléaire historique) ermöglicht alternativen Versorgern, einen Teil des von den EDF-Reaktoren erzeugten Atomstroms zu günstigen Preisen zu beziehen. So verkauft EDF bis zu 100 Terawattstunden (TWh) pro Jahr für 42 Euro je Megawattstunde (MWh) an sie. Nur zwischen April und Dezember 2022 hatte die Regierung den Preis wegen des starken Anstiegs der Energiekosten vorübergehend auf 46,2 Euro je MWh erhöht.
100 TWh, das entspricht normalerweise etwa 35% der Produktion der französischen Atomkraftwerke, die noch immer 66% der gesamten Stromproduktion Frankreichs liefern. Frankreich hatte den ARENH-Mechanismus 2011 eingeführt, um den Wettbewerb zu fördern. Denn bis dahin hatte der staatliche Stromversorger das unangefochtene Monopol.
Kräfteringen mit der Regierung
Wie es nach dem Auslaufen des ARENH-Mechanismus weitergeht, darüber ringt nun EDF-Chef Luc Rémont mit der Regierung. Diese möchte die Margen des Stromriesen eindämmen, um so die Kostenwettbewerbsfähigkeit für Unternehmen in Frankreich zu garantieren. Deshalb plädiert sie dafür, den Markt zu regulieren und die Preise so zu deckeln, dass sie in etwa den Produktionskosten entsprechen.
Der zuletzt mit 64,8 Mrd. Euro verschuldete Konzern sieht das natürlich anders, genau wie die Gewerkschaften. Sie alle finden, dass der Atomstrom von EDF besser bezahlt werden müsse. Der Kraftwerkspark des Versorgers sei chronisch unterbezahlt, meint Alexandre Grillat, der Generalsekretär der Gewerkschaft CFE-CGC.
Dabei steht er vor neuen Ausgaben, obwohl er bereits jetzt unter einem hohen Schuldenberg ächzt. So hat der Versorger 2015 mit Modernisierungsarbeiten der bestehenden Reaktoren begonnen, die 2028 abgeschlossen werden sollen. Allein das wird 66 Mrd. Euro kosten, mindestens.
Die 56 französischen Atomreaktoren sind im Schnitt 37 Jahre alt. Die Atomsicherheitsbehörde Autorité de sûreté nucléaire (ASN) hat gerade erst im August grünes Licht für den Betrieb des 43 Jahre alten Reaktors Nummer eins des nördlich von Avignon gelegenen Atomkraftwerks Tricastin für weitere zehn Jahre gegeben.
Damit ist er der erste Atomreaktor in Frankreich, dessen Laufzeit auf über 40 Jahre verlängert wurde. Weitere dürften folgen, denn Präsident Emmanuel Macron möchte, dass die Laufzeiten aller Reaktoren – sofern möglich – ausgedehnt werden, idealerweise auf über 50 Jahre.
Parallel dazu will Macron noch vor Ende der Laufzeit mit dem Bau von sechs EPR-Reaktoren einer neuen Generation beginnen – mit der Option für acht weitere. Allein die Kosten für die sechs ersten neuen Reaktoren hat Macrons Regierung letztes Jahr auf rund 52 Mrd. Euro beziffert. Details, wie das finanziert werden soll, sind bisher nicht bekannt.
Noch sei nichts entschieden, sagte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire der Wirtschaftskommission der Nationalversammlung im Juli. "Das Schema für die Regulierung und Finanzierung dürfte bis Ende 2024 präzisiert werden, damit das Unternehmen seine Investitionsentscheidungen treffen kann."
Doch zunächst muss es EDF erst mal gelingen, nächstes Jahr den ersten französischen EPR-Reaktor in Flamanville in der Normandie in Betrieb zu nehmen, zwölf Jahre später als geplant. Die Kosten des Projekts haben sich um mehr als 10 Mrd. Euro erhöht, laut Berechnungen des Rechnungshofes sogar um 16 Mrd. Euro.
Zusätzlich wurden Ende 2021 Korrosionsprobleme an Kühlsystemen von anderen Reaktoren entdeckt. Die deshalb notwendigen Kontrollen sowie aufgeschobene Wartungsarbeiten haben die Atomstromproduktion 2022 auf 279 TWh einbrechen lassen, den niedrigsten Wert seit 30 Jahren.
In den ersten acht Monaten dieses Jahres ist die Atomstromproduktion im Vergleich zu 2022 wieder um 7,9% gestiegen. Im laufenden Gesamtjahr sollen wieder 300 bis 330 TWh produziert werden, 2025 dann 335 bis 365 TWh und 2030 schließlich 400 TWh.
Die Produktionskosten von EDF für Atomstrom schätzt die Energieregulierungsbehörde CRE (Commission de régulation de l'énergie) laut Informationen des Portals "Contexte" in einem gerade der Regierung übergebenen Bericht für 2026 bis 2040 auf 57 bis 61 Euro je MWh. 2020 war sie noch von 48,36 Euro ausgegangen.
Für EDF sei die neue Schätzung nicht gut, denn der Stromriese würde gerne von dem Ende des ARENH-Mechanismus profitieren, um gegenüber Kunden höhere Preise durchzusetzen, meinen Beobachter. EDF-Chef Rémont plädiert für längerfristige Verträge als bisher, mit Laufzeiten von fünf bis zehn Jahren.
Hoffen auf höhere Preise
Als eine Art Testballon hat der Versorger gerade auf dem Großmarkt insgesamt 100 MW für die Jahre 2027 und 2028 angeboten. Kunden können für Tranchen bis zu 5 MW bieten. Der Preis dürfte dem ähneln, was in den letzten Wochen auf dem Markt zu beobachten gewesen sei, also etwas unter 100 Euro, erklärte der bei EDF für Kunden zuständige stellvertretende Generaldirektor Marc Benayoun. Das wäre ein deutlicher Aufschlag auf die von der CRE geschätzten Produktionskosten.
EDF hofft auf einen regen Zuspruch, um den Staat vom neuen Angebotsmodell zu überzeugen. Denn der will die Preise auch künftig regulieren. Das zeigt die Reaktion von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der einen Anstieg der Strompreise um mehr als 10% bis 20% Anfang 2024 ausgeschlossen hat, obwohl die Ende 2021 eingeführte Strompreis-Deckelung für Verbraucher ausläuft. Brüssel müsste einem neuen Fördermechanismus zustimmen. Paris dürfte jedoch von der Strommarktreform und den geplanten differenzierten Lieferverträgen samt Preisgarantien profitieren.