LeitartikelChinas Wirtschaftsprobleme

Auf Tuchfühlung mit dem Japan-Dilemma

Peking hasst Vergleiche mit Japans wirtschaftlichem Niedergang in den 80er Jahren. Jüngste Entwicklungen machen sie jedoch ein wenig stichhaltiger.

Auf Tuchfühlung mit dem Japan-Dilemma

Chinas Wirtschaft

Auf Tuchfühlung mit dem Japan-Dilemma

Peking hasst Vergleiche mit Japans Wirtschafts-Niedergang in den 80er Jahren. Mittlerweile werden sie stichhaltiger.

Von Norbert Hellmann

Beim Anblick der jüngsten monetären Daten dürfte Chinas gestressten Wirtschaftsplanern das Herz etwas tiefer in die Hose gerutscht sein. Im Juli ist der Darlehensbestand chinesischer Banken gegenüber dem Vorjahresmonat geschrumpft. Das gab es noch nie, zumindest nicht seit Beginn vergleichbarer statistischer Datenreihen im Jahr 2005, und es wirft einige bange Fragen zur Konjunkturdynamik auf. Vielleicht handelt es sich nur um einen Ausreißer. Der Juli ist grundsätzlich von schwacher realwirtschaftlicher Finanzierungstätigkeit geprägt. Wie bei manch medizinischer Diagnose mag man sich zunächst auf die Devise „einmal ist keinmal“ berufen. Aber es gilt, wachsam zu sein.

Die ungewöhnliche Entwicklung wird von einer geringen Neukreditvergabe an Unternehmen und einem Rückgang der ausstehenden Kredite gegenüber Privaten markiert. Letzteres ist der eigentliche Hingucker. Die chinesischen Haushalte haben mehr Mittel zurückgezahlt als aufgenommen und damit netto ihre Verschuldung abgebaut. Sie entwickeln kaum noch Nachfrage nach Konsumkrediten und sind bemüht, Hypothekendarlehen rascher zu tilgen. Man sieht einen volkswirtschaftlichen Gemütszustand, bei dem die Privaten aus Vorsichtsdenken heraus so etwas wie Bilanzkonsolidierung betreiben. Die Frage, ob das eine bedenkliche Entwicklung darstellt, lässt sich eindeutig mit Ja beantworten. Wenn nicht nur die Unternehmenskreditnachfrage schwächelt, sondern auch private Haushalte immer mehr in Deckung gehen, sind die Aussichten auf eine Konjunkturbelebung nicht gerade hoch.

Aus chinesischer Sicht kommt noch ein gewisser Gruselfaktor hinzu. Es geht um das Negativbeispiel Japan, dessen Wirtschaftswunder Mitte der Achtziger praktisch in eine ewige Stagnations- und Deflationsphase kippte. Schlagwörter zu Japans Dilemma sind Immobilienkrise, fallende Vermögenswerte, geringe Kreditnachfrage, Verbraucherpreisdeflation und stark gebremster Konsum. Düstere Hintergrundmusik lieferte eine demografische Wende mit sinkenden Geburtsraten und Bevölkerungsschwund als zusätzlicher volkswirtschaftlicher Belastung. Manche Ökonomen sehen einen Faktor als besonders gefährlich an, nämlich „balance sheet recession“. Sie entsteht, wenn Haushalte und Unternehmen aufgeschreckt vom Verfall der Vermögenspreise am Immobilien- und auch Aktienmarkt ihr Verhalten ändern. Der Fokus liegt bei Schuldenkonsolidierung statt fröhlicher Ausgabenexpansion. Das macht es besonders schwierig, aus einer Konsumflaute wieder herauszufinden.

Chinas postpandemische Konjunkturperformance rückt Vergleiche mit Japan wieder stärker in den Vordergrund, auch wenn die Symptome insgesamt noch milde ausfallen. Am Immobilienmarkt hat es keinen Crash gegeben, sondern einen schleichenden Niedergang der Neuwohnungskäufe und der Preise. Der Konsum ist nicht rückläufig, sondern mit zuletzt 2–3% Wachstum der Einzelhandelsumsätze nur für chinesische Verhältnisse anämisch. Vor der Pandemie war man Zuwächse um etwa 8% gewohnt. Auch sieht man keine echte Verbraucherpreisdeflation, sondern einen längeren Flirt mit der Nulllinie. Das bedeutet noch nicht die gefürchtete Abwärtsspirale von Preisen, Löhnen und Einkommen. In der Bevölkerungsstatistik hat jedoch bereits die Wende eingesetzt, mit der nun auch China auf eine „demografische Dividende“ als positiven Wirtschaftsfaktor verzichten muss.

Die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten zur Steuerung und Vitalisierung der Wirtschaft sind im chinesischen System ungleich größer sind als in reinen Marktwirtschaften. Das gibt Peking Zuversicht, dass man jeglichen Anfängen von Stagnationssymptomen à la Nippon zu begegnen weiß. Nun wird man allerdings auf die Probe gestellt. Die eigentliche Gefahr besteht darin, dass sich bei weiter fallenden Vermögenspreisen die im Prinzip noch relativ neue pessimistische Grundhaltung der Privaten verfestigt und dann immer schwerer zu durchbrechen ist. Eine positive Wende im Immobilienmarkt ist frühestens im kommenden Jahr zu erwarten. Bis dahin muss sich Peking mit anderen Methoden und großzügigen Stimuli behelfen, um die Konsumlaune nicht weiter absinken zu lassen.

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