Aufbruch zu neuen Ufern
An steigende Kurse in Zeiten der Liquiditätsflut und Inflationsbedenken hat sich die Öffentlichkeit gewöhnt. Doch wer den Chart der Osram-Aktie betrachtet, der muss sich doch die Augen reiben. Seit der Erstnotiz am 29. Juli geht es extrem steil nach oben. Mittlerweile notiert das Papier 36 % über seinem Einstandsniveau. Der Dax hat in der gleichen Zeit um 9 % zugelegt. Die Siemens-Aktionäre, denen das Papier zwangsweise ins Depot gelegt wurde, können sich die Hände reiben.Der Kursanstieg erstaunt umso mehr, als die Analysten tief gespalten sind in ihrem Urteil über die Zukunftsfähigkeit von Osram. Der Beifall dominiert zwar, zuletzt sind auch einflussreiche Häuser wie die Deutsche Bank auf die Seite der Optimisten gewechselt. Aber auch Buhrufe sind unüberhörbar. Schließlich verändert sich der Lichtmarkt durch einen technologischen Umbruch fundamental, die Oligopolzeiten sind vorbei. Was also kommt auf die Osram Licht AG und ihre Investoren zu?Ausgangspunkt der Osram-Story ist eine tiefgreifende Restrukturierung. 600 Mill. Euro kostet das Programm – eine gewaltige Summe für den Mittelständler, ein Kraftakt für die Organisation. Osram trennt sich von Aktivitäten, die strukturell unter dem angestrebten Leistungsniveau bleiben, verlagert einen Teil der Produktion und überprüft das Produktportfolio. Diese Geschäftsbereinigung plus strategische Hinterfragung läuft wie aus dem Lehrbuch. Daher kann cum grano salis ein Haken hinter die tausenden Einzelprojekte gemacht werden, auch wenn der Umbau real erst in elf Monaten abgeschlossen sein wird. Vorstandschef Wolfgang Dehen hat mit seiner Restrukturierungserfahrung manche Verkrustung bei Osram aufgebrochen, für die Implementierung quer durch den Konzern sorgt Finanzvorstand Klaus Patzak mit beharrlichem Nachfassen und kluger Incentivierung.Der Anstieg des Aktienkurses spiegelt also das wachsende Vertrauen der Investoren in die Umsetzungsstärke des Managements in puncto Umbau wider. Die Ebita-Marge von 8 %, die das Management für das Geschäftsjahr 2014/2015 versprochen hat, rückt schon für die laufende Abrechnungsperiode in Griffweite. Doch Vorsicht: Wem Erfolg zugesprochen wird, der muss sich umso stärker zwingen, an den nächsten Erfolgen zu arbeiten.An Erfolgen arbeiten? Ha, schallt es von einem Teil der Kapitalmarktbeobachter zurück, bei Osram könne es nur noch darum gehen, gravierende Misserfolge zu vermeiden. Dem Unternehmen droht nach dieser Lesart im Zukunftsmarkt LED das Schicksal der europäischen TV- oder Handyhersteller. Insbesondere asiatische Wettbewerber betrieben Preisdumping, um ihre Überkapazitäten auszulasten. Die hohen LED-Investitionen lohnten sich für Osram sowieso nicht, weil sich der Produktlebenszyklus aufgrund der Technologiesprünge drastisch verkürzt. Der Wegfall des Ersatzteilgeschäfts beraube Osram seines Fundaments. Dem zweitgrößten Beleuchtungsunternehmen der Welt bleibe nur die andauernde Restrukturierung und die Hoffnung, dass margenstarke traditionelle Produkte wie Halogenlampen nicht reguliert würden und daher lange verkauft werden könnten.Das ist in dieser Totalität reine Schwarzmalerei. Die Wirklichkeit ist wie immer komplexer. Natürlich gibt es im LED-Markt Überkapazitäten, doch sie reduzieren sich gerade deutlich. Der Preisdruck macht Standardanwendungen zum Schlachtfeld, doch Segmente wie für sehr hell leuchtende LEDs oder Infrarotanwendungen sind hochattraktiv. Richtige Weichenstellungen vorausgesetzt kann Osram hier prosperieren. Auf den kürzeren Produktlebenszyklus sollte Osram beispielsweise mit einer Plattformstrategie reagieren – die Automobilindustrie hat es vorgemacht.Trotzdem sind Befürchtungen angesichts des Technologiebruchs berechtigt. Den Wegfall der Oligopolgewinne und des Ersatzteilgeschäfts kann Osram nur durch eine kluge strategische Positionierung kompensieren. Nach dem Umbau wird das Management daher im Laufe des nächsten Jahres prüfen müssen, inwieweit Akquisitionen das Portfolio abrunden. Noch wichtiger: Osram muss sich im LED-Markt differenzieren, also aus Kundensicht von der Konkurrenz abheben. Nur so können mittelfristig der Vertriebsapparat und das Preisniveau gehalten werden. Angesichts dieser Aufgaben erstaunt, dass auf oberster Managementebene originäre Lichtkompetenz fehlt. Umso wichtiger ist das richtige motivatorische Händchen für die Osram-Mannschaft in der Postumbauzeit. Die neue Osram-Identität kann nur durch einen integrativen Führungsstil erreicht werden.——–Von Michael FlämigOsram kann den Umbau geistig großteils abhaken. Nun muss der Konzern strategisch weiterentwickelt werden und so zu seiner neuen Identität finden.——-