Aufgalopp der Ökonomen
Notiert in Berlin
Aufgalopp der Ökonomen
Von Andreas Heitker
In den vergangenen Tagen haben sich deutsche Top-Ökonomen im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Klinke in die Hand gegeben. Nicht nur waren die Vertreter der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute zu Gast, um dem Staff von Minister Robert Habeck ihre neue Gemeinschaftsdiagnose einschließlich der dort verteilten Watschn für die aktuelle Wirtschaftspolitik zu erläutern. Auch war der rund 40-köpfige Wissenschaftliche Beirat des Hauses nach Berlin gereist, um sein 75-jähriges Bestehen zu feiern und damit ein durchaus bemerkenswertes Jubiläum. Denn der Beirat ist das älteste wirtschaftswissenschaftliche Beratungsgremium in Deutschland. Einen Vorläufer gab es schon in Kriegszeiten: Ab 1943 trafen sich einige der späteren Beiratsmitglieder unter dem Vorsitz von Erwin von Beckerath, um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands nach dem Krieg vorzubereiten. Als sich der Beirat dann Anfang 1948 in Königstein im Taunus formell konstituierte, gehörten ihm große und auch heute noch bekannte Vertreter der deutschen Wirtschaftswissenschaften an: Walter Eucken, Alfred Müller-Armack, Oswald von Nell-Breuning oder auch Karl Schiller.
Einem ersten Gutachten 1948 zur Währungsreform und zur Bedeutung von Preisen als Steuerungsmechanismus folgten bis heute fast 200 weitere Beiträge der Volkswirte und Juristen zu Wirtschaftsordnung, Wettbewerb, Außenwirtschafts- oder auch Industriepolitik. Seit Mai wird das Gremium von Eckhard Janeba vom Lehrstuhl für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim geführt, der dem Beirat bereits seit 2007 angehört. Bei dem Jubiläumssymposium verwies er darauf, dass die Unabhängigkeit das große Plus des Beirates sei und dass sein Einfluss auf die Politik häufig indirekt oder zeitverzögert stattfinde. So kam die Idee eines Klimaclubs 2021 ursprünglich vom BMWK-Beirat. Ein anderes Beispiel für den Anstoß öffentlicher Debatten war ein Gutachten zur Reform der Rentenversicherung kurz vor der letzten Bundestagswahl.
Elga Bartsch, Leiterin der Grundsatzabteilung im Ministerium, versicherte Janeba und den übrigen angereisten Beiratsmitgliedern, ihre Argumente würden im Hause wahr- und auch ernst genommen – sowohl auf der Fach- als auch auf der Führungsebene. Und Staatssekretär Sven Giegold gab zum 75. Geburtstag den Rat: "Bleiben Sie aufsässig." Denn eines ist auch klar: Ministeriumsführung und wissenschaftliche Berater sind sich längst nicht immer einig. So richtig dürften Habeck zuletzt etwa die kritischen Kommentare zu den milliardenschweren Klimaschutzverträgen missfallen haben, die eigentlich ein wichtiges Werkzeug für die grüne Transformation werden sollen. Und auch bei dem vom Minister geforderten Industriestrompreis kommt von den Topökonomen wenig Unterstützung, wie auch die Debatten auf der Jubiläumsveranstaltung noch einmal sehr deutlich gemacht haben.
Mit Spannung wird nun die nächste Publikation des Beirats erwartet, die dem Ministerium zur Prüfung und Stellungnahme schon vorliegt. Denn in dieser geht es um grüne Investitionen und in dem Zusammenhang auch um einen Änderungsbedarf bei der Schuldenbremse. Bundesfinanzminister Christian Lindner dürfte die Empfehlungen aufmerksam wahrnehmen – auch wenn sein Haus einen eigenen Wissenschaftlichen Beirat hat.