LEITARTIKEL

Auftakt zur Abwicklung

Thyssenkrupp hat die Aufzugssparte zu dem erstaunlich hohen Preis von 17 Mrd. Euro verkauft. Glücklicherweise sind die Kassen von Finanzinvestoren wie den beiden Käufern Advent und Cinven dank der Nullzins-gestützten Geldschwemme derzeit so voll,...

Auftakt zur Abwicklung

Thyssenkrupp hat die Aufzugssparte zu dem erstaunlich hohen Preis von 17 Mrd. Euro verkauft. Glücklicherweise sind die Kassen von Finanzinvestoren wie den beiden Käufern Advent und Cinven dank der Nullzins-gestützten Geldschwemme derzeit so voll, dass sie mit geringen Renditen auf das eingesetzte Kapital zufrieden sein müssen. Mit den Einnahmen kann Vorstandschefin Martina Merz erst einmal das Riesenloch in der Konzernbilanz stopfen. Die klaffende Lücke besteht aus 9 Mrd. Euro Pensionsverpflichtungen und 7 Mrd. Euro Nettoschulden. Die Pleite, die der Wettbewerber Kone aus Boshaftigkeit schon an die Wand gemalt hatte, bleibt Thyssenkrupp vorerst erspart.Ist jetzt alles wieder gut? Leider nein. Für die Sanierung des angeschlagenen Restkonzerns, der jetzt auch noch mit dem Coronavirus-Konjunkturabschwung zurechtkommen muss, bleibt nicht mehr viel übrig – erst recht nicht für eine Sonderdividende. Das wissen auch die Investoren. Deshalb ist der Kurs der Aktie am Tag nach dem Verkauf um 10 % gesunken – auf den tiefsten Stand seit nahezu 20 Jahren. Besonders für den Finanzinvestor und Großaktionär Cevian ist das schmerzlich. Die Schweden waren vor Jahren bei ungefähr 13 Euro eingestiegen. Inzwischen ist der Kurs unter 9 Euro gefallen.Was vom Konzern jetzt noch übrig ist, wirft vorerst keinerlei Gewinne ab. Die Ruhrgebiets-Industrieikone Thyssenkrupp ist seit der teuren Fehlinvestition in neue Stahlwerke in Amerika, bei der der Konzern vor zehn Jahren 8 Mrd. Euro verloren hat, zum Abwicklungsfall geworden. Der Verkauf des Aufzugsgeschäfts ist nur der Auftakt dafür. Mit der Tochter Thyssenkrupp Elevator verlassen nicht nur 20 % des Umsatzes und ein Drittel der Beschäftigten den Konzern, sondern auch nahezu der gesamte operative Gewinn. Als Nächstes wird Thyssenkrupp versuchen, die Großanlagenbau-Sparte Plant Technology loszuwerden. Die Citigroup sucht Kaufinteressenten und hofft sie in China zu finden. Doch ließe sich die defizitäre Sparte nur verschenken. Auch die notleidende Sparte für Autozulieferung, die mit Qualitätsproblemen bei Federn kämpft und auf das Zukunftsgeschäft mit elektrischen Lenkungen hofft, braucht einen größeren Partner. Vielleicht wäre sie ja bei ZF gut aufgehoben.Am Ende bliebe nur ein mittelgroßer Stahlkonzern mit Werkstoffhandel übrig – und mit einer lästigen Kriegsschiffsparte, die zum Rest genauso wenig passt wie bisher und immer wieder Compliance-Probleme mit Rüstungsgeschäften verursacht, die wie geschmiert laufen. Die Stahlsparte macht einen operativen Verlust von geschätzt 700 Mill. Euro. Daran lässt sich auf die Schnelle nichts ändern. Die Sanierung mit dem Abbau von 3 000 der 27 000 Arbeitsplätze wird zunächst viel Geld kosten. Und damit ist es noch nicht getan. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müsste in die Anlagen investiert werden. Die Branche steht aufgrund internationaler Handelskonflikte, Billigstahl aus China sowie europäischer Umwelt- und Klimaauflagen unter großem Druck. Ohne einen teuren Innovationssprung hin zu einer weitgehend CO2-neutralen Stahlproduktion wird es nicht mehr lange weitergehen. Der Ausweg über eine Fusion mit Tata wurde Thyssenkrupp von den Kartellwächtern in Brüssel versperrt. Ein Zusammengehen mit Salzgitter erscheint gegen den Wille des Großaktionärs Niedersachsen und gegen den Willen des CEO aussichtslos.——Von Christoph RuhkampDer Verkauf der Aufzugssparte von Thyssenkrupp stopft das Riesenloch in der Bilanz. Es ist der Auftakt zur Abwicklung der deutschen Industrieikone.——