LEITARTIKEL

Ausgebremste (E)volution

Meine große Sorge bei der Elektromobilität ist das Ladenetz, das ist der Engpass", hat Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sich nach dem Autogipfel, bei dem eine Verlängerung der Kaufprämien beschlossen wurde,...

Ausgebremste (E)volution

Meine große Sorge bei der Elektromobilität ist das Ladenetz, das ist der Engpass”, hat Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sich nach dem Autogipfel, bei dem eine Verlängerung der Kaufprämien beschlossen wurde, mahnend zu Wort gemeldet. Der Gipfel dürfte das Problem sogar verschärft haben. Denn das Signal ist eindeutig. Elektromobilität wird nicht nur kurz als Konjunkturstütze in der Krisenzeit gefördert, sondern langfristig. Der technologische Wandel weg vom Verbrenner ist politisch gewollt und wird mit finanziellen Anreizen beschleunigt. Was so ein Signal für die Adaptionsrate der Stromer bedeutet, kann man in den Unternehmen erkennen, die selbst der Branche angehören. Hier ist die Elektrifizierung schon deutlich weiter fortgeschritten als in der Gesamtbevölkerung, in der der Anteil ebenfalls rasant wächst. So erzählt beispielsweise ZF-Finanzvorstand Konstantin Sauer, dass unter den bestellten Firmenwagen des Zulieferers bereits 80 % entweder batterieelektrisch oder plug-in-hybrid angetrieben sind.Dem gestiegenen Interesse der Autokäufer steht ein nur schleppend verlaufender Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur gegenüber. Laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft gibt es bundesweit noch nicht einmal 35 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte. Einer vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gestellten Studie zufolge braucht es 2030 mindestens 400 000 Ladepunkte mehr. Im Worst Case könnten sogar 800 000 mehr nötig sein. Wobei der Worst Case eigentlich der von der Politik geförderten Wunschvorstellung eines möglichst schnellen Abschieds vom Verbrenner entspricht. Eine vernünftige Planung müsste sich also von vorneherein die obere Bedarfsgrenze als Ausbauziel setzen. Der von VDA-Chefin Müller angeregte “Ladesäulen-Gipfel mit allen Beteiligten, mit der Energiewirtschaft, der Wohnungswirtschaft, der Mineralölindustrie, mit den Flughäfen, Parkhaus- und Tankstellenbetreibern, natürlich auch mit Bund, Ländern und Kommunen, und das noch vor Weihnachten” ist daher dringend geboten.Der Wunsch, jede Kommune müsse jetzt einen Ausbauplan für Elektromobilität vorlegen, jeder Bürgermeister müsse das ganz oben auf die Agenda setzen, jede Gemeindeversammlung den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit Schwung vorantreiben, ist dennoch ein frommer. Denn die Kommunen, Gemeinden und Bürgermeister haben derzeit ganz andere Probleme auf dem Tisch, als die Frage, ob 2030 genug Ladesäulen im Land sein werden. Zwar wurden die kommunalen Finanzen in der Krise durch Bund und Länder zunächst stabilisiert. 2021 und 2022 drohen jedoch Milliardenlöcher. Die Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, des Städtetages und des Landkreistages haben erst Anfang des Monats gewarnt, eine verlässliche Finanzplanung sei vor diesem Hintergrund nicht möglich. Finanziell ist also nichts zu erwarten und auch beschleunigte Planungsverfahren und Genehmigungen für E-Ladestellen sind angesichts der zu erwartenden Aufgabenfülle kaum erste Priorität. Zumal der Käuferkreis der elektrifizierten Fahrzeuge noch ein relativ kleiner sein wird, der kommunalpolitisch kaum Druck entfalten wird.Bei aller Hoffnung auf die Unterstützung durch die Regierenden muss die Branche vor allem selbst liefern. Die Zusammenarbeit beim Schnellladenetz von Ionity oder auch der Aufbau exklusiver eigener Ladenetze, wie dies etwa Porsche ergänzend angeht, können nur der Anfang sein. Vor allem bei den privaten Lademöglichkeiten muss die Industrie in der Umsetzung unterstützen. Das jüngst vorgestellte Förderprogramm der KfW für private Ladepunkte schafft allenfalls den finanziellen Anreiz, sich Ladeplätze im Eigenheim oder auf den Stellplätzen von Mehrfamilienhäusern zu schaffen. Bei einem vom VDA erwarteten Bedarf von 5,4 Millionen bis 8,7 Millionen privaten Ladepunkten im Jahr 2030 benötigt es bis dahin 11 000 bis 18 000 neu installierte Ladepunkte pro Woche.Selbst gemeinsam können Energiewirtschaft, Autoindustrie und Regierung an der schieren Größe der Herausforderung scheitern. Die Forderung des VDA an die EU, es bei der kommenden Euro-7-Norm nicht zu übertreiben, um den Verbrenner nicht übereilt aus dem Spiel zu nehmen, ist daher nicht nur Lobbyismus, sondern ein berechtigtes Anliegen, das schon die Vorsicht gebietet. Denn wenn die Frage der Ladeinfrastruktur nicht zufriedenstellend gelöst wird, ist die Evolution zur E-Mobilität bereits ausgebremst, ehe sie richtig Fahrt aufnehmen kann. ——Von Sebastian SchmidWährend die Verkaufszahlen der E-Autos derzeit rasant in die Höhe schnellen, kommt die zugehörige Ladeinfrastruktur bislang nicht ansatzweise mit.——