LEITARTIKEL

Auto-Roulette

Der Technologiewettlauf unter den globalen Autoherstellern war selten spannender. Galt in der Branche in vergangenen Jahrzehnten noch stets das Motto Evolution statt Revolution, ist nun ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Mehrere technologische...

Auto-Roulette

Der Technologiewettlauf unter den globalen Autoherstellern war selten spannender. Galt in der Branche in vergangenen Jahrzehnten noch stets das Motto Evolution statt Revolution, ist nun ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Mehrere technologische Parallelentwicklungen sorgen dafür, dass die Geschäftsgrundlage künftig eine andere sein wird und damit auch der Markt neu aufgeteilt werden dürfte.Die Ausgangslage, wie sie sich im Sommer 2017 darstellt: Der Dieselmotor im Speziellen, aber auch der Verbrennungsmotor im Allgemeinen gilt zunehmend als Auslaufmodell. In den fünf größten Absatzmärkten Europas ist der Diesel-Anteil am Absatz im Juni erneut um 4,5 Prozentpunkte gesunken. Selbst im Autoland Deutschland erwägen einige Städte teils Innenstadt-Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge. Zugleich beginnt Tesla die Produktion des Models 3 hochzufahren, mit dem der US-Elektroautobauer im Massenmarkt ankommen will. Deren CEO Elon Musk zielt explizit auf das Brot-und-Butter-Geschäft von Audi, BMW und Mercedes-Benz. Zugleich entwickeln die großen Hersteller immer weitreichendere Fahrassistenzsysteme, die wie im neuen Audi A8 teilautonomes Fahren zulassen. US-Technologiefirmen wie Apple, die Google-Mutter Alphabet oder der Fahrdienst Uber forschen zugleich am vollautonomen Fahren. Sharing-Dienste schießen wie Pilze aus dem Boden und nagen am Konzept des Autos als Statussymbol vor der Haustür.In dieser Gemengelage scheint es schwer, den Überblick zu behalten, wer gut positioniert ist, um am Ende der erwarteten Transformationsphase zu den Gewinnern zu zählen. Die deutschen Hersteller sind in vielerlei Hinsicht gut aufgestellt. Finanziell strotzen BMW, Daimler und Volkswagen vor Kraft. Zum Jahresende kamen sie in ihren Autosparten zusammen auf mehr als 60 Mrd. Euro Nettoliquidität und mehr als 40 Mrd. Euro operativen Cash-flow. Der Diesel-Skandal, der gerade für Daimler an Brisanz gewinnt, sollte daher finanziell gut verkraftbar sein. In Sachen autonomes Fahren und bei Sharing-Fahrdiensten sind die hiesigen Hersteller ebenfalls besser aufgestellt als das Gros der internationalen Konkurrenten. Achillesferse bleibt die hohe Diesel-Abhängigkeit – bei Daimler und BMW mehr als zwei Drittel in Europa. Und das nicht nur wegen bereits gezahlter (VW) und eventuell noch folgender Strafen (Daimler?), sondern wegen der dramatischen Effekte auf Belegschaft und interne Machtverhältnisse, die mit der Umstellung auf die Elektromobilität drohen. Ein Vorteil dabei ist immerhin: Wie Tesla können die Marktführer der Premiumklasse höhere Preise als andere Autobauer durchsetzen. Das sollte helfen, bei zunächst noch hohen Batteriekosten in den Bereich positiver Deckungsbeiträge je E-Fahrzeug vorzudringen – Volumenhersteller wie GM oder FCA dürften sich hier schwerer tun. Im Gegensatz zu Tesla wirtschaften die deutschen Autobauer zudem hochprofitabel und können ihre E-Auto-Pläne falls nötig quersubventionieren. Alles in Butter?So einfach ist es leider nicht. Das Problem der positiven Kurzanalyse ist, dass sie am Kern der Herausforderung vorbeigeht. Mittelfristig wird es nicht mehr primär darum gehen, welcher der Hersteller am meisten Autos absetzt. Wichtiger wird sein, dass die Grundsatzfrage geklärt ist, wo künftig das Gros der Wertschöpfung erfolgt. Bislang stehen die Autobauer an der Spitze der Nahrungskette, weil sie mit Marke und Ingenieurs-Know-how die wesentlichen Beiträge leisten. Nun drängen indes Firmen aus anderen Bereichen in den Automobilsektor: Chiphersteller wie Infineon, Intel und Qualcomm investieren Milliarden – autonomes Fahren, Vernetzung und Elektrifizierung sind drei Megatrends, die ihnen entgegenkommen. Zulieferer wie Bosch oder ZF Friedrichshafen bauen ihr Know-how ebenfalls dramatisch aus, um im neuen Umfeld stärker als bislang zu partizipieren. Technologiefirmen wie Uber, Microsoft, Alphabet und Apple wollen beim autonomen Fahren wie bei Vernetzung und Sharing-Diensten vorn sein.Dass so viele Branchenfremde Blut geleckt haben, liegt daran, dass den bislang dominanten Herstellern wesentliche Verkaufsargumente verloren zu gehen drohen. Mit der Elektrifizierung schrumpft der Wert der über Jahrzehnte aufgebauten Motorenkompetenz. Wer autonom fährt, für den wird die “Freude am Fahren”, mit der BMW wirbt, im Alltag zur Nebensache. Mit selbstfahrenden, elektrifizierten Autos werden Carsharing-Dienste an Attraktivität gewinnen. Der Wunsch nach dem Besitz eines teuren Autos als Statussymbol dürfte nachlassen. Die Umtriebigkeit, mit der die traditionellen Autobauer investieren, ist auch Zeugnis ihrer Unsicherheit ob der künftigen Fahrtrichtung. Wie beim Roulette soll das Risiko minimiert werden, indem auf möglichst viele Felder gesetzt wird. Wohl dem, der dafür genug Liquidität im Kofferraum hat und nicht allein auf sein Näschen setzen muss. ——–Von Sebastian Schmid E-Auto, autonomes Fahren, Carsharing – der sinkende Diesel-Absatz ist nur ein Thema, das Autobauer umtreibt.——-