LEITARTIKEL

Autoland nicht abgebrannt

Die deutsche Autoindustrie ist hochnervös. Ein beispielloser Einbruch der Neuzulassungen im April um bis zu 98 % in einigen europäischen Ländern. Bänder, die in den Werken über Wochen stillstanden. Milliardenschwere Liquiditätsabflüsse. Hersteller...

Autoland nicht abgebrannt

Die deutsche Autoindustrie ist hochnervös. Ein beispielloser Einbruch der Neuzulassungen im April um bis zu 98 % in einigen europäischen Ländern. Bänder, die in den Werken über Wochen stillstanden. Milliardenschwere Liquiditätsabflüsse. Hersteller und Zulieferer sehen sich zahllosen Herausforderungen gegenüber, für die kein Handbuch im Handschuhfach liegt. Die Produktion ist zwar wieder angelaufen, doch die Angst vor einer lange gedämpften Nachfrage ist groß. BMW-Chef Oliver Zipse bereitet sein Unternehmen jedenfalls darauf vor, dass die Krise länger dauert. Daimler-CEO Ola Källenius sagte, Mercedes sei in der Lage, die Produktion bei Bedarf schnell wieder hochzufahren – und erklärt damit, dass man erst einmal mit angezogener Handbremse unterwegs sei. Und Volkswagen-Lenker Herbert Diess macht sich als Vorkämpfer für Kaufprämien um die Branche verdient.Kurzfristig ist die Sorge der Autohersteller mehr als gerechtfertigt. Es liegen schmerzhafte Monate vor der deutschen Leitindustrie. Das Verbrauchervertrauen ist global in ungekannte Tiefen abgetaucht. Die Arbeitslosigkeit steigt rund um den Globus. Nicht nur Unternehmen werden in diesem Umfeld zurückhaltend mit größeren Anschaffungen sein. Auch viele Privatpersonen werden wohl noch eine Weile – teils gezwungenermaßen, teils aus Vorsicht – von größeren Anschaffungen absehen. Der Wunsch nach üppiger Unterstützung der Politik – sei es über Kaufprämien oder Garantien für Autokredite – ist verständlich. Selbst wenn dies nur zu ein paar vorgezogenen Käufen führen sollte.Die Branche zählt verglichen mit anderen Sektoren aber kaum zu den langfristigen Verlierern der Krise. Eher im Gegenteil. Die Coronavirus-Pandemie hat das Zeug dazu, für die Autohersteller ungünstige Trends der vergangenen Jahre umzukehren. Die bis unmittelbar vor der Krise propagierte Forderung des Umstiegs auf öffentliche Verkehrsmittel dürfte vorerst kein Thema mehr sein. Eine Studie des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt hat festgestellt, dass das Ansehen des privaten Autos durch die Pandemie deutlich gestiegen, das der öffentlichen Verkehrsmittel dagegen gesunken ist. Gerade junge Stadtbewohner vermissen der Umfrage zufolge ein eigenes Fahrzeug. Damit können sich Zielgruppen, die man teilweise schon verloren gegeben hatte, womöglich wieder für Autos begeistern. Zwar haben alle größeren Hersteller in den vergangenen Jahren viel investiert, um Geschäftsmodelle für das erwartete Wachstum der Sharing Economy in dieser demografischen Gruppe zu entwickeln – bislang aber nur mit mäßigem Erfolg. Eine Abkehr vom Sharing-Trend wäre für die Autobauer das kleinere Übel, wenn dafür mehr Autos verkauft würden.Größer wäre das Problem, würde ein zweiter Trend – die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten – von den Kunden abgelehnt. Dafür spricht aber höchstens, dass Elektroautos und Plug-in-Hybride noch immer spürbar teurer als Benziner und Diesel sind. Doch scheinen nicht einmal die Autohersteller selbst zu fürchten, dass der Elektrifizierungstrend abreißt. Die Milliardeninvestitionen in die Technologie gehen unvermindert weiter. Bei Mercedes-Benz hat die Autoproduktion zwar über Wochen geruht, nicht aber die Batteriefertigung. Hier wurde fleißig weiterproduziert, um Energiespeicher für das Wiederanlaufen der Bänder zu haben. Auch die Forderung an die Politik, die Kaufprämien auf aktuelle Verbrenner mit Euro-6-Norm auszuweiten, deutet an, dass eher befürchtet wird, die klassischen Autos könnten zum Ladenhüter werden und einigen angeschlagenen Autohändlern und Zulieferern den Rest geben.Ein ähnliches Schicksal müssen die deutschen Hersteller aktuell kaum fürchten – trotz eingebrochener Ergebnisse und befürchteter hoher Verluste im laufenden Quartal. Die Liquiditätsausstattung und Bonitätseinstufung ist verglichen mit den meisten internationalen Wettbewerbern überaus komfortabel. Von der Erholung in China profitieren sie angesichts ihrer hohen Marktanteile im Reich der Mitte überproportional. Volkswagen erklärte erst diese Woche, man habe dort im April sogar mehr Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Der Marktanteil kletterte um 1,7 Prozentpunkte auf 21 %. Und auch verglichen mit dem Heimatmarkt der Konkurrenten aus den Vereinigten Staaten oder Frankreich sieht es hierzulande nach einer schnelleren Erholung des Geschäfts aus. Die Lage der Branche mag aktuell desolat erscheinen. Die mittelfristigen Aussichten der deutschen Autohersteller sind es dennoch nicht.——Von Sebastian SchmidDie Geschäfte der deutschen Autohersteller laufen wegen der Coronavirus-Pandemie historisch schlecht. Doch es gibt auch Gründe für Optimismus.——