LEITARTIKEL

Automarkt auf Abwegen

In der Automobilbranche herrscht Katzenjammer. Wo bitteschön auf diesem Planeten findet sich noch ein großer Ländermarkt, der ordentliche Wachstumsfantasie hergibt? Über Jahrzehnte hinweg gab es eine klare Antwort mit fünf Buchstaben, nämlich China....

Automarkt auf Abwegen

In der Automobilbranche herrscht Katzenjammer. Wo bitteschön auf diesem Planeten findet sich noch ein großer Ländermarkt, der ordentliche Wachstumsfantasie hergibt? Über Jahrzehnte hinweg gab es eine klare Antwort mit fünf Buchstaben, nämlich China. Nun aber ist es mit der Herrlichkeit erst einmal vorbei. Die nüchterne Absatzstatistik des chinesischen Herstellerverbandes weist für das Jahr 2018 mit insgesamt 23,7 Millionen Fahrzeugen ein Minus von 4,1% aus. Es ist die erste Schrumpfung im mittlerweile weltgrößten Pkw-Markt seit sage und schreibe 28 Jahren. Passend dazu hat die chinesische Wirtschaft mit einer Expansion des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 6,6 % ebenfalls das schwächste Wirtschaftswachstum seit 28 Jahren hingelegt.Der Schock sitzt tief, denn bis zur Jahresmitte hatten die Branchenexperten bei allen Abkühlungsszenarien nicht damit gerechnet, dass der chinesische Pkw-Markt tatsächlich den Rückwärtsgang einlegen würde. Man hat es mit einem Käuferstreik der besonderen Art zu tun bekommen. Zum einen ist die Dynamik im Segment der kleineren Fahrzeuge durch den Wegfall von Steuervergünstigungen zu Jahresbeginn 2018 abhandengekommen. Entsprechende Vorzieheffekte hatten die Verkäufe Ende 2017 besonders stark anschwellen lassen.Bedenklicher aber ist der eindeutig auf den Handelsstreit zwischen China und den USA rückführbare Einbruch des Konsumvertrauens im Reich der Mitte. In der seit Jahren so zuverlässig ausgabefreudigen aufstrebenden Mittelschicht ist es zu einer ruckartigen Anpassung des Käuferverhaltens mit einem Verzicht auf sogenanntes “big-ticket spending”, also größere Anschaffungen der privaten Haushalte, gekommen. Auch sieht man wie schon im Jahr 2015, als Chinas Automarkt auf einen nur geringfügigen Zuwachs kam, eine Wechselwirkung zwischen einer schwachen Börsenverfassung und der Bereitschaft zum Gang in die Showrooms der Autohändler.Besonders bitter für die heimischen wie auch ausländischen Autobauer ist die Erkenntnis, dass der jahrelange Sweet Spot des margenträchtigen SUV-Segments nicht mehr so viel hergibt. Seit der globalen Finanzkrise haben sich die jährlichen Auslieferungen von Limousinen im chinesischen Markt glatt verdoppelt, die der SUV-Fahrzeuge aber mehr als verzwanzigfacht. Dazu haben steigende Einkommen und die Fixierung auf besonders kindgerechte Fahrzeuge beigetragen. Im vergangenen Jahr hat sich indes nicht nur das Einkommenswachstum stark verringert, China weist auch die niedrigste Geburtenzahl seit 1961 aus.Wie besorgt muss man in der Branche sein? Während sich der Herstellerverband in vorsichtigem Optimismus übt und für 2019 eine Seitwärtsbewegung prognostiziert, tippen die Experten bei Goldman Sachs auf einen weiteren Absatzrückgang um 7 %. Als einziger Lichtblick mag der Markt für New Energy Vehicles (NEV), also Wagen mit hybriden Motoren oder reinem Batterieantrieb, gelten. Hier kommt man auf einen Anstieg um 62 % auf 1,26 Millionen, die von Peking stolz anvisierte Millionenmarke ist geknackt. In der Branche ist dies jedoch kein Trost.Den Elektroautos mag die Zukunft gehören, doch wer in den nächsten Jahren richtig Geld verdienen will, muss weiter mit Benzinern punkten. Der imposante Absatzschub bei NEV entspricht ohnehin nicht wirklich einem grundlegenden Wandel des Käuferverhaltens, sondern ist eher Reflex einer staatlichen Begünstigungs- und Subventionspolitik beziehungsweise der von staatlichen Stellen für Flottenfahrzeuge generierten Nachfrage. Da Peking zudem die Subventionsschraube zurückdrehen will, dürfte das Wachstum auch hier gedrosselt werden, für 2019 wird mit einem Zuwachs der NEV-Verkäufe um gut 25 % auf dann 1,6 Millionen Fahrzeuge gerechnet.So richten sich die Hoffnungen in der Branche darauf, dass der Staat ein Einsehen hat und erneut mit fiskalischen Maßnahmen auf die Nachfrage nach Benzinern einwirkt. Dies mag den Plänen zur umweltmotivierten raschen Elektrifizierung entgegenwirken, würde aber einen dringend benötigten konjunkturellen Impuls geben. Schließlich färben die Geschicke der Autoindustrie sowohl bei der Industrieproduktion wie auch im Einzelhandel ganz erheblich auf die BIP-Entwicklung in China ab und haben 2018 Wachstumspunkte gekostet. Auch für die ausländischen Autobauer heißt dies aber, dass ihre Performance im weltgrößten Absatzmarkt auf Gedeih und Verderb mit den Dispositionen der staatlichen Wirtschaftslenker zusammenhängen wird.—–Von Norbert HellmannChinas unerwartet heftig abflauender Pkw-Markt macht die globalen Autobauer nervös. Die Hoffnung bleibt, dass Peking neue Konsumanreize setzt. —–