Notiert in Schanghai

Baidu und die Mutter aller PR-Pannen

Ausgerechnet die PR-Chefin des Tech-Konzerns Baidu hat mit der Verherrlichung einer toxisch anmutenden Arbeitskultur im Netz angegeben. Das ist weder ihrem eigenen Job noch der Baidu-Aktie sonderlich gut bekommen.

Baidu und die Mutter aller PR-Pannen

Notiert in Schanghai

Die Mutter aller PR-Pannen

Von Norbert Hellmann

Die Grenze zwischen einer dezidiert leistungsorientierten und damit unvermeidbar intensiven Arbeitskultur zu einer, die als zermürbend und vermeidbar toxisch angesehen wird, ist heikel. Insbesondere bei großen chinesischen Tech-Unternehmen, die alles aus der Belegschaft herauszukitzeln pflegen.

Motivationskunst

Die Branche steht derzeit unter massivem Wettbewerbsdruck. Heißt das, den Angestellten ihren Galeerenruderer-Status deutlicher vor Augen zu halten und die Schlagzahl nach Gutdünken zu erhöhen? Oder soll man mit dem Signalisieren von Arbeitgeber-Fürsorge mehr Motivation von innen heraus erzeugen?

Qu Jing hat als Public-Relations-Chefin des Tech-Konzerns Baidu, also des chinesischen Abklatsches von Google, der Diskussion neuen Drall verliehen. Die Großverdienerin im Range einer Vizepräsidentin hatte auf Douyin, der chinesischen Tiktok-Version, eine Reihe von Kurzvideos zum Besten gegeben. Damit wollte sie unerbittlichen Leistungsdrang und kaltschnäuzigen Umgang mit Untergebenen als Aushängeschild verstanden wissen.

„Bin nicht deine Mutter“

Sie erwartet, ihre Mitarbeiter jederzeit persönlich erreichen und herumkommandieren zu können, und zwar 24/7, egal ob Urlaub oder Hochzeitsreise und an gesetzlichen Feiertagen sowieso. Sie erzählt von der Mitarbeiterin, die sich in der Pandemie mit Verweis auf ihre Familiensituation dagegen gesträubt hatte, auf eine siebenwöchige Geschäftsreise gehen zu müssen. „Warum soll ich als Chefin deine Familie mit in Betracht ziehen? Ich bin nicht deine Schwiegermutter und auch nicht deine Mutter. Ich interessiere mich nur für Ergebnisse und habe mit dir persönlich nichts zu tun“, heißt es in dem viral gegangenen Clip.

Investor-Relations-Debakel

Absagen an Mütterlichkeit sind in China eine gefährliche Angelegenheit. Die Netzgemeinde ist jedenfalls auf die Barrikaden gegangen. Qu hat sich zunächst öffentlich dafür entschuldigen müssen, als PR-Chefin die wahre Unternehmenskultur bei Baidu nicht korrekt wiedergegeben zu haben. Danach wurde sie rasch entlassen. Viel geholfen hat es nicht. Aus dem Public-Relations-Spektakel wurde ein Investor-Relations-Debakel, das die Marktkapitalisierung von Baidu gleich mal um 6 auf 33 Mrd. Dollar dezimierte.

996-Kultur wachgeküsst

Zum Schrecken des Baidu-Managements und der Börsianer wird das Stichwort „996-Kultur“ wieder wachgeküsst. Mit deren Befürwortung hatte sich Alibaba-Gründer Jack Ma einst gewaltigen Ärger eingefangen. 996 soll heißen, dass ein „Techie“ mit absoluter Selbstverständlichkeit seinem Job von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends nachzugehen hat. Das bitte schön 6 Tage die Woche, ohne je deswegen mit Überstunden in Verbindung gebracht zu werden.

Mit seiner harschen Tech-Regulierungskampagne hat Peking dieses Konzept längst zur Schnecke gemacht. Das soll um Gottes willen nicht heißen, dass die Arbeitsmethoden tatsächlich geändert werden müssen, wohl aber, damit nicht mehr öffentlich hausieren zu gehen.

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