Bangen vor dem Winter
Notiert in Paris
Bangen vor dem Winter
wü Paris
Von Gesche Wüpper
Während für zwölf Millionen Schüler diese Woche nach den zwei Monate langen Sommerferien wieder der Ernst des Lebens begonnen hat und Frankreich dem Beginn der Rugby-Weltmeisterschaft entgegenfiebert, denken Wohltätigkeitsorganisationen mit Sorge an den nächsten Winter. Erst schlug der Präsident der Restos du Cœur Alarm, dann das französische Rote Kreuz und der Secours Populaire. Die Situation sei unhaltbar, warnte Patrice Douret, der Vorsitzende der Restos du Coeur. Wenn sich nichts ändere, müssten die Mitte der 80er von dem Komiker Coluche als Privatinitiative gegründeten Restaurants der Herzen in drei Jahren schließen.
Das wäre nicht nur für die mehr als eine Million Menschen, die auf die Hilfe dieser französischen Tafel angewiesen sind, ein harter Schlag. Denn die Restos du Cœur sind eine der wichtigsten Stützen des Wohltätigkeitssektors in Frankreich. Tag für Tag teilen sie rund 400.000 Essen an Bedürftige aus, Tendenz steigend. So ist die Zahl derer, die bei den Restaurants der Herzen für eine Mahlzeit anstehen, seit Beginn des Jahres um 35% gestiegen. 60% davon müssen mit rund 560 Euro pro Monat auskommen, der Hälfte der 1.102 Euro, die in Frankreich als Armutsgrenze festgelegt sind.
Die Zahl der Bedürftigen unterhalb der Armutsgrenze steige und gleichzeitig kämen inzwischen auch Personen mit neuen Profilen zu ihnen, etwa Arbeiter in prekären Verhältnissen, erklären die Restaurants der Herzen. Der Anstieg der Armut ist auch in der Öffentlichkeit nicht zu übersehen. In vielen Großstädten wie Paris, Marseille und Bordeaux leben seit Covid mehr Obdachlose auf den Straßen. In diesem Winter müsse seine Organisation 150.000 Menschen abweisen, wenn nichts geschehe, weil sie nicht genügend Mittel habe, um sie mit Essen zu versorgen, warnt der Vorsitzende der Restos du Cœur. Denn dem Wohltätigkeitsverein fehlen 35 Mill. Euro für das Jahresbudget, etwas weniger als 20% des Gesamtbetrags.
Bei anderen Wohltätigkeitsorganisationen sieht es ähnlich aus. Denn sie leiden unter der Kosten-Preis-Schere. Auf der einen Seite treibt die hohe Inflation immer mehr Menschen in die Bedürftigkeit, auf der anderen Seite treibt sie aber auch die Kosten der Wohltätigkeitsorganisationen in die Höhe. So sind beispielsweise die Energiekosten des französischen Roten Kreuzes um 45 Mill. Euro nach oben geschnellt, während sich die Anschaffungskosten der Restos du Cœur ebenfalls stark erhöht haben. Sie kaufen rund ein Drittel der Lebensmittel, die sie verteilen, selber ein. Innerhalb weniger Wochen habe sich das wöchentliche Budget von 2,5 Mill. Euro auf 5 Mill. Euro verdoppelt, erklären sie.
Angesichts des starken Preisanstiegs könnten sich die Franzosen weniger großzügig zeigen, könnte man meinen. Doch sie spenden nach Angaben der Wohltätigkeitsorganisationen weiter. Man wolle ihnen jetzt kein schlechtes Gewissen machen, erklären sie. Denn sie seien da, wenn sie um Hilfe gerufen würden. Auch der jetzt lancierte Appell verhallte nicht ungehört. Erst versprach Solidaritätsministerin Aurore Bergé den Restos du Cœur 15 Mill. Euro, dann kündigten die Einzelhändler Carrefour und Intermarché Sachspenden an. LVMH-Chef Bernard Arnault und seine Familie wollen den Restaurants der Herzen mit 10 Mill. Euro unter die Arme greifen, während die Genossenschaftsbank Crédit Mutuel dem französischen Roten Kreuz und den Lebensmittelbanken insgesamt 12,5 Mill. Euro spenden will. Sie hat den Restos du Cœur bereits im Frühjahr 5 Mill. Euro zukommen lassen.
Die Unterstützung der Wohltätigkeitsorganisationen dürfte auch bei der anstehenden Debatte über den Haushaltsentwurf 2024 zur Sprache kommen. Letztes Jahr hat die Regierung einer Verlängerung der Lebensmittelhilfen um 40 Mill. Euro auf insgesamt 156 Mill. Euro zugestimmt. Damit haben sich die Lebensmittelhilfen im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt, denn damals betrugen sie nur 60 Mill. Euro. In den 156 Mill. Euro sind die fast 120 Mill. Euro aus europäischen Töpfen nicht mit eingerechnet.