Banken ringen mit Nachranganleihen
Banken ringen mit Nachranganleihen
Kündigen oder nicht? Investoren setzen die Finanzwirtschaft unter Druck
Es herrscht Ruhe rund um die Banken weltweit. Die Krise, ausgelöst von US-Bankenpleiten und auch in Europa sichtbar in Form der Credit-Suisse-Übernahme, ist vorbei. Doch der Schock sitzt der Branche und ihren Aufsehern weiterhin in den Knochen. Wie stabil ist die Kreditwirtschaft im Fall neuer makroökonomischer Turbulenzen?
Zur Beantwortung richtet sich der Blick von Experten auch auf spezielle bedingte Pflichtwandelanleihen namens AT1. Die Einschätzungen, ob diese Contingent Convertible Bonds mit einem Emissionsvolumen von mehreren hundert Milliarden Euro weltweit tatsächlich die Widerstandsfähigkeit der Banken erhöhen oder sich doch eher als Brandbeschleuniger entpuppen können, gehen auseinander.
Dabei spielt ein scheinbarer Randaspekt eine wichtige Rolle. In der Theorie laufen diese Anleihen unendlich lange. In der Praxis fordern Investoren von den Emittenten die Kündigung zum ersten möglichen Zeitpunkt – und häufig beugen sich Banken und auch Versicherer diesem Druck. Die Kernfrage aus ihrer Sicht: Welche Enttäuschungen können wir den Investoren zumuten, ohne dass wir das Vertrauen am Kapitalmarkt verlieren?
Die Frage des Vertrauens
Dass Vertrauensverlust tödlich ist, mag eine Binse sein am Kapitalmarkt. Aber was bedeutet dies für AT1-Emittenten? Ein Beispiel: Wenn sie die Kuponzahlung aussetzen, wirken die Bonds so, wie es die Aufsicht gedacht hat: als verlustabsorbierendes Instrument, das die Fähigkeit zur Geschäftsführung sicherstellt (Going-Concern-Instrument).
Das theoretisch nutzbare Instrument wird aber in der Praxis wertlos, wenn das Aussetzen der Zahlungen zu einem so enormen Reputationsschaden und zu einer solchen Vertrauenskrise führt, dass alle Anleihen des Emittenten am Kapitalmarkt abschmieren. Denn die Investoren könnten davon ausgehen, dass das Management asymmetrisch über mehr negative Informationen verfügt, vulgo: die Lage viel schlechter ist als sowieso erkennbar. Es wird sich dann kaum eine Bank trauen, diese Maßnahme zu nutzen.
Gemach, gemach, mag man einwenden: ein seltener Fall, und außerdem hat dann die Bankenaufsicht ein Wörtchen mitzureden. Stimmt. Trotzdem will es bedacht sein. Und: Die Kündigungstermine der AT1-Anleihen, die im Versicherungssektor unter dem Kürzel RT1 firmieren, funktionieren nach dem gleichen Mechanismus. Was steckt dahinter?
Eigentlich laufen Cocos zeitlich unbefristet. Dies gilt als Voraussetzung dafür, dass sie als regulatorisches AT1-Kapital anerkennungsfähig sind. Die Anleihebedingungen stellen den Emittenten aber frei, nach einigen Jahren zu kündigen. Die Entscheidung liegt allein im Ermessen der Banken und Versicherer. Eigentlich. Die Praxis sehe völlig anders aus, berichten Marktteilnehmer.
Der Druck auf Emittenten sei in Europa anders als in den USA enorm, dass unbedingt zum ersten Termin gekündigt werde, so heißt es. Ein Konkurrent habe doch kürzlich schon seine AT1 gekündigt, laute die Ansage in Investorenkonferenzen von Banken und Versicherern, dies sei eine gute Tradition: „Ihr macht sicherlich das Gleiche.“
Wenn man sage, na ja, das Instrument ist anders gedacht, dann herrsche große Aufregung: Das könne ja nicht wahr sein, so gehe es nicht und das habe Konsequenzen. Die implizite Botschaft: Im Fall einer verweigerten Kündigung werde der gesamte Kapitalmarktauftritt des Emittenten unter Druck geraten. Die Schlussfolgerung: „Wenn man ein eher nur mittelgroßer Emittent ist, dann kriegt man schnell Angst und kündigt die Anleihe.“
Die Keule ist groß, die Investoren schwingen können. Zwar sind im AT1- und RT1-Markt sehr spezialisierte Vehikel unterwegs, meist stecken Hedgefonds beispielsweise aus Großbritannien dahinter. Diese sind bei Senior Bonds nur eingeschränkt dabei, haben in diesen Segmenten also eigentlich wenig Einfluss – und damit kein unmittelbares Drohpotenzial.
Aber: Im Gegensatz zu Versicherern müssen Banken als Daueremittenten im Wholesale-Funding-Markt immer wieder Geld an Bord holen, und die AT1-Spezialfonds gehören teils auch zu größeren Investorengruppen – die eben doch auch andere Typen von Bankanleihen zeichnen. Vor allem aber kann ein Scharmützel mit AT1-Investoren die Gesamtreputation eines Emittenten schädigen.
Wer den anderen Weg wählt und seine AT1-Anleihe kündigt, signalisiert damit: „Liebe Credit-Investoren, Ihr seid uns wichtig.“ Das banale, aber grundlegende Credo unter Emittenten: „Wir wissen, dass Menschen ein Gedächtnis haben.“
Ebenfalls relevant aus Sicht der Kritiker: Große Häuser wie UBS sind selbst gewichtige Underwriter von Tier1-Kapital, haben also entsprechende geschäftliche Interessen. Wer zudem als Investmentbank für Dritte auftritt, wird sich zweimal überlegen, ob er dort sein großes Gebühreneinkommen schmälert, indem er die AT1-Käufer verärgert, die vielleicht auch seine Investmentbank-Kunden sind.
Warum sind die Investoren so scharf darauf, dass gekündigt wird? Eigentlich läge nahe, dass sie die Zinswende lockt, die zu einem höheren Kupon der neuen Anleihe führt. Doch ist dies irrelevant, unter anderem weil bei einer endlos laufenden Anleihe der Kupon häufig zum ersten Kündigungstermin sowieso variabel an die aktuelle Zinslage angepasst wird. Banken ihrerseits haben sich gehedgt. Entscheidend ist daher vielmehr der Zinsaufschlag über dem Mid-Swap-Wert. Diese Spreads waren früher extrem niedrig und sind seit dem vergangenen Jahr gestiegen – nicht drastisch, aber durchaus substanziell.
Die Folge: Der Investor erhält einen höheren Spread und damit insgesamt mehr Geld, wenn die Anleihe gekündigt und durch eine neue AT1-Anleihe abgelöst wird. Der Emittent dagegen will eigentlich seine AT1-Bonds nur ersetzen, wenn dieser Reset-Spread niedriger ist als der historische Spread seiner Altanleihe.
Ebenfalls relevant aus Sicht des Investors: Wenn der Emittent kündigt, springt der Wert einer Anleihe, der vielleicht zuvor unter 100% lag, wieder zurück auf 100%. Wenn der Kündigungstermin verstreicht, kann so ein Bond an der Börse dagegen auch mal in Richtung 90% abrutschen – und dies führt zu unangenehmen Fragen an den Fondsmanager nicht zuletzt vom eigenen Chef.
Wie positionieren sich die Banken in dem Widerstreit zwischen ökonomischen Überlegungen und dem Druck der Investoren? Für Aufsehen sorgte zum Jahreswechsel die UBS. Sie kündigte eine erst im Jahr 2018 emittierte AT1-Anleihe im Volumen von 2 Mrd. Dollar per Januar 2023 und damit zum allerersten Zeitpunkt, an dem dies möglich war. Am Markt wird vorgerechnet, dass das Institut dann 2 Prozentpunkte mehr werde zahlen müssen: Über eine Laufzeit von fünf Jahren seien dies 200 Mill. Dollar.
Ein Extremfall angesichts der dort errechneten hohen Summe. Allerdings haben sich in diesem Jahr viele weitere Institute ebenfalls für eine Kündigung entschieden. Auf der Liste stehen Société Générale, Lloyds Bank, Barclays, Banco de Sabadell und Unicredit.
Ein Desaster, so das Argument der Kritiker. Denn vor der Finanzkrise 2007/2008 habe sich die gleiche Praxis mit ähnlichen Anleihen namens Innovative Tier1 etabliert. Kündigungen waren Usus. „Wer hätte sich damals in der wirklich schweren Krise trauen sollen, als Erster von dieser Norm abzuweichen?“ Es sei sehr naiv zu glauben, dass ein Treasurer dies wage. Die Aufseher hätten sich damals gezwungen gesehen, dies laufen zu lassen: „Wenn sie ein Verbot ausgesprochen hätten, hätten sie einen Bank Run riskiert.
Alles zumindest aktuell kein Problem, sagen dagegen die Verteidiger der Kündigungen. Es sei zwar richtig, dass manche Institute einen höheren Reset-Spread zahlten: „Aber meist sind es Aufschläge in der Größenordnung von nur 50 Basispunkten.“ Dagegen sei es eben regelmäßig erfahrene Praxis, dass die Banken nicht kündigten, wenn die Aufschläge zu groß seien. Bei dreistelligen Aufschlägen müsse man sich außerdem auf intensive Gespräche mit den Aufsehern einstellen. Kurzum: „Der Markt hat sich über die Zeit bewährt.“
Zudem spiegele der Spread am Sekundärmarkt bereits wider, dass die AT1-Anleihen eben nicht gekündigt würden. Dies zeige, dass sich die Investoren auf dieses Risiko eingestellt hätten.
Lösung Deindividualisierung
Noch wichtiger aus Sicht der Verteidiger der Kündigungen: Viele Institute kündigten nicht, obwohl dies möglich gewesen wäre. Dazu gehörten Adressen wie Santander, Deutsche Bank, Raiffeisen Bank und in einem Fall auch Lloyds Bank.
Dies sei kein Wunder, so die Gegenposition der Kritiker. Denn Santander trete traditionell sehr stark gegenüber den Investoren auf. Mittelgroße Institute dagegen könnten dem Druck nicht standhalten – und zwar sogar in Zeiten ohne Turbulenzen am Bankenmarkt. Ihre bange Frage: Was erst ist zu erwarten, wenn eine Krise tobt und Kündigungstermine anstehen?
Im Jahr 2016 habe sich bereits gezeigt, dass selbst ein Riese wie die Deutsche Bank wankelmütig werden könne, lautet die Antwort der Kritiker. Tatsächlich bot damals das Frankfurter Geldhaus den Rückkauf von Anleihen im Volumen von 3 Mrd. Euro an und kaufte schließlich 1,3 Mrd. Euro zurück, nur um den Anlegern Handlungsfähigkeit zu signalisieren und überdies Zweifel hinsichtlich der Liquiditätsausstattung zu zerstreuen.
Dieses Problem lässt sich aus Sicht der Kündigungskritiker nur umgehen, wenn die Entscheidung für oder gegen einen Call sich aus einer Regel ableiten lässt – also deindividualisiert wird: „Die Entscheidung gegen eine Kündigung soll nur noch signalisieren, dass die Ersatzkonditionen schlecht sind.“ Beispielsweise könnte man festlegen, dass der Reset-Spread nur einen bestimmten Prozentsatz höher sein dürfe als der Spread der Altanleihen – manchmal werden 0,25% ins Spiel gebracht, andernorts wird ein Aufschlag in der Eurozone von nicht mehr als 1 Prozentpunkt genannt.
Eine Selbstläufer ist eine derartige Reform überhaupt nicht. Die Banken wollen ihren Ermessensspielraum behalten. Außerdem können sie Politik und selbst Bankenaufsicht damit drohen, dass sie dann ihre Kreditvergabe einschränken, weil sie die AT1-Bonds durch noch teureres Eigenkapital ersetzen müssen. Die Bankenaufseher der EZB ihrerseits dürfen eine Kündigung nur dann untersagen, wenn die Stabilität der gesamten Institution gefährdet ist – angesichts des begrenzten Umfangs einer AT1-Anleihe zum Gesamtkapital einer Bank eher unwahrscheinlich.