LeitartikelImmobilienprojektentwickler

Bauträger-Krise birgt Sprengstoff

Die Projektentwicklung gilt aufgrund ihrer Komplexität als Königsdisziplin der Immobilienbranche. Allerdings birgt das Geschäft spezielle Risiken. Nun steht so mancher der Könige am Abgrund.

Bauträger-Krise birgt Sprengstoff

Immobilienprojekte

Krise mit Sprengstoff

Von Helmut Kipp

Der rapide Zinsanstieg trifft die Entwickler von Immobilienprojekten mit voller Wucht. Die Krise verschärft die Wohnungsnot weiter.

Zehn Jahre lang lebte die Immobilienbranche in einer traumhaften Welt. Niedrige Zinsen und beständig steigende Preise machten es leicht, Geschäft zu akquirieren und satte Gewinne zu erwirtschaften. Inzwischen hat der Markt komplett gedreht. Statt 1% müssen Wohnungskäufer für eine Zehnjahreshypothek 4% Zinsen aufbringen. Und die Verkaufspreise sind ins Rutschen geraten. Das zeigt sich in den Wertverlusten, die Bestandhalter reihenweise in tiefrote Zahlen treiben. Andere Disziplinen wie Makler, Berater und Finanzierer bekommen die Krise ebenfalls zu spüren.

Am stärksten trifft es die Projektentwickler. Sie bauen vor allem Bürogebäude und Wohnquartiere. In den vergangenen Wochen sind bereits diverse Bauträger in die Knie gegangen, darunter größere und renommierte Player. Beispiele sind Gerch aus Düsseldorf mit 4 Mrd. Euro Projektvolumen, die Nürnberger Project-Gruppe, der Luxus-Immobilien-Bauträger Euroboden aus Grünwald bei München, die Düsseldorfer Development Partner und die Hamburger Revitalis. Im Juli war bereits der Projektentwickler Centrum in die Insolvenz gerutscht. Consus Real Estate, die marode Projekttochter der Adler Group, kann ihre Geschäftstätigkeit nur dank der Unterstützung der ebenfalls klammen Muttergesellschaft noch fortführen. Consus hat bis Ende 2022 ein negatives Eigenkapital von 2 Mrd. Euro angehäuft – fürwahr ein deprimierender Betrag.

Die Projektentwicklung gilt aufgrund ihrer Komplexität als besonders anspruchsvolle Disziplin, der in guten Jahren satte Renditen winken. Sie reicht vom Ankauf geeigneter Grundstücke über das Schaffen von Baurecht, die Planung, Finanzierung und Umsetzung des Vorhabens bis zu Verkauf oder Vermietung des fertiggestellten Gebäudes. Die Zeitdauer der Projekte erstreckt sich in aller Regel über etliche Jahre, was das Risiko birgt, dass sich Rahmenbedingungen – wie jetzt – grundlegend ändern. Hinzu kommen übliche Risiken wie steigende Kosten, ausfallende Handwerker, abspringende Kaufinteressenten und Pfusch am Bau. Das Geschäft erfordert also umfangreiche Expertise in vielen Bereichen. Bauträger fungieren als eine Art Generalunternehmer. Sie kaufen für riesige Beträge Material und Handwerksleistungen ein und verkaufen sie mit der Objektveräußerung an Kunden weiter. Die eigene Leistungserbringung der meist kleinen oder mittelständischen Unternehmen fällt vergleichsweise schmal aus. Das große Rad auf der Seite der Erstellung muss flankiert werden durch ein großes Rad in der Finanzierung. Dabei agieren viele Unternehmen mit dünner Eigenkapitaldecke, die mitunter durch Mischformen wie Mezzanine-Kapital verlängert wird, für das aber extrem hohe Zinssätze zu zahlen sind. Der Fremdkapitalanteil ist üblicherweise hoch, was die Anfälligkeit in schwierigen Marktphasen erhöht. Auch in früheren Bau- und Immobilienkrisen waren Bauträger die Ersten, denen der Exitus drohte.

Das Besondere der aktuellen Turbulenzen ist, dass der Übergang von Boom zu Bust außerordentlich schnell erfolgt ist. Das hat viel mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu tun, der Inflationsraten und Zinsen nach oben getrieben hat. Die Auswirkungen zeigen sich nicht nur in stark steigenden Projektkosten, sondern auch im Wegbrechen der Nachfrage. Kaum jemand ist momentan bereit, in größerem Umfang in Immobilien zu investieren. Der Transaktionsmarkt steht praktisch still. Branchenvertreter fühlen sich, als würden sie mit hohem Tempo auf eine Wand zurasen. Es kann als sicher gelten, dass die Insolvenzen der vergangenen Wochen erst der Anfang sind und weitere Anbieter ins Rutschen kommen werden.

Die Folgen treffen Lieferanten, Finanzierer und Kunden. Handwerker bleiben auf Rechnungen sitzen, Geldgeber müssen Kreditverluste verkraften, Käufer nach Alternativlösungen für den Weiterbau ihres Objekts suchen. Im Falle der Project-Gruppe, die sich über eigene Fonds finanziert, steht das Geld von 30.000 Anlegern, die 1,4 Mrd. Euro eingeschossen haben, im Feuer. Im Wohnsektor ist indirekt die große Gruppe der Mieter betroffen. Denn Bauträger-Insolvenzen verknappen das Wohnungsangebot weiter. Ein riesiges Problem mit sozialem Sprengstoff gerade in Ballungsräumen. Hier ist es für viele Interessenten schon heute beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, eine bezahlbare Wohnung zu ergattern.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.