LeitartikelOrganisationsumbau

Bayer – eine Frage des Vertrauens

Der neue Bayer-Chef steht vor einer schwierigen Aufgabe: Er muss eine zutiefst verunsicherte Belegschaft und die leidgeprüften Investoren von einem einschneidenden Organisationsumbau überzeugen.

Bayer – eine Frage des Vertrauens

BAYER

Eine Frage des Vertrauens

Von Annette Becker

Der neue Bayer-Chef muss die Belegschaft und die Investoren vom Sinn des tiefgreifenden Organisationsumbaus überzeugen.

Der neue Bayer-Chef Bill Anderson ist mit viel Vorschusslorbeer ins Amt gestartet. Ein halbes Jahr später ist jedoch Ernüchterung eingekehrt. Diesen Rückschluss lässt zumindest die Kursentwicklung zu. Erst vor wenigen Tagen ist die Aktie auf ein neues Jahrestief gefallen. Mit einer Marktkapitalisierung von 44 Mrd. Euro rangiert der Konzern nur noch auf Platz 14 im Dax. Das liegt natürlich zu einem Gutteil an der Gewinnwarnung, die Bayer im Juli verschicken musste. Die Erwartungshaltung der Anteilseigner ist dadurch im Zweifel jedoch nur noch größer geworden.

Zumal auch die jüngst publik gewordenen Ideen zum neuen Arbeitsmodell, das Anderson dem Konzern überstülpen will, zumindest die Investoren nicht recht zu überzeugen vermochten. Soweit bislang bekannt, geht es vor allem um den Abbau von Hierarchien und Entbürokratisierung. Ein Thema, das Bayer nicht erst seit gestern umtreibt. Schon Marijn Dekkers, der Vorvorgänger von Anderson an der Bayer-Spitze, hatte die griffige Formel "mehr Innovation, weniger Administration" geprägt, das war im Herbst 2010. Kurz danach wurde ein Effizienzprogramm auf den Weg gebracht, das den Abbau von 4.500 Arbeitsplätzen vorsah.

Kein klassisches Sparprogramm

Doch anders als Dekkers, der letztlich ein klassisches Sparprogramm auflegte, ohne die Strukturen zu verändern, schwebt Anderson eine völlig andere Art der Zusammenarbeit vor. Den Teams müsse mehr Entscheidungsgewalt gegeben werden, um verantwortlich handeln und damit entscheidend vorankommen zu können, ist der ehemalige Roche-Manager überzeugt. Kurzum: Der Konzern soll verschlankt und dadurch schneller werden.

Anderson steht jedoch vor einer ungleich schwierigeren Aufgabe als die meisten seiner Vorgänger. Denn Bayer hat fünf wirtschaftlich schwere Jahre hinter sich, die auch am Selbstverständnis der Belegschaft genagt haben. Die fatalen Rechtsfolgen der Monsanto-Übernahme sind bis heute nicht gänzlich verdaut. Ganz zu schweigen davon, dass Bayer im Gefolge der Übernahme schon 12.000 Stellen abbaute, um die Kostenbasis um 2,6 Mrd. Euro zu verkleinern. Weil das jedoch nicht reichte, folgte 2021 ein weiteres Sparprogramm, mit dem der Konzern erneut „leaner and more agile“ werden sollte. Versprochene Einsparungen: 1,5 Mrd. Euro.

Nun schickt sich Anderson an, der völlig verunsicherten Mannschaft einen tiefgreifenden Organisationsumbau zu verordnen, der zahlreiche Hierarchieebenen überflüssig macht. Folgerichtig geht die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust vor allem im mittleren Management um. Keine Frage, schlanke Organisationen mit flachen Hierarchien können schneller auf sich verändernde Rahmenbedingungen reagieren. Allerdings darf nicht ausgeblendet werden, dass ein Konzern, bei dem – allen Stellenabbauprogrammen zum Trotz – weiterhin mehr als 100.000 Namen auf der Payroll stehen, nicht basisdemokratisch geführt werden kann. Anderson ist also gut beraten, die Schraube nicht zu überdrehen.

Ziele außer Reichweite gerückt

Der Kostenaspekt steht bei dem geplanten Organisationsumbau zwar nicht im Vordergrund. Doch bevor das Projekt den Investoren vorgestellt wird, muss es zweifelsohne mit einem Etikett bezüglich der erwarteten Einsparungen und der damit verbundenen Kosten versehen werden. Denn die alles entscheidende Frage ist, wie viel Zeit die leidgeprüften Aktionäre dem neuen Bayer-Chef zugestehen. Deren Vertrauen ist bis in die Grundfesten erschüttert und das aus gutem Grund. Denn nicht nur die Ende 2018 verkündeten Mittelfristziele hatten sich rasch als Makulatur entpuppt. Auch die auf dem Kapitalmarkttag 2021 vorgestellten Plangrößen sind außer Reichweite gerückt.

Bayer ist es bis heute nicht gelungen, sich aus den finanziellen Fesseln der Monsanto-Übernahme zu befreien. Im Gegenteil: Die Nettoverschuldung wird zum Jahresende wieder auf 36 Mrd. Euro klettern. Handlungsspielraum, um die Pharmapipeline akquisitorisch aufzupeppen, ist somit nicht vorhanden. Anderson wird also nicht nur im eigenen Haus Überzeugungsarbeit für den Organisationsumbau leisten müssen, sondern auch bei den Anteilseignern um Vertrauen werben.